Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Kommunikation und Konsens – #mpaed2021. Gemeinsame Herbsttagung der Sektion und Fachgruppe Medienpädagogik (DGfE und DGPuK) am 16. und 17. September 2021 in Leipzig und online

Organisiert durch Sonja Ganguin (Universität Leipzig) in Kooperation mit der Sektion Medienpädagogik (DGfE) und der Fachgruppe Medienpädagogik (DGPuK), am Donnerstag, 16. und Freitag, 17. September 2021 online.

Bitte reichen Sie Ihren Beitrag bis zum 28. Februar 2021 über https://www.conftool.com/mpaed2022 ein.  Dort finden sie auch Hinweise zur formalen Gestaltung.
Call for Papers als PDF

Tagungswebsite: https://sites.ifkw.lmu.de/mpaed2021/

Thema

Der Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts hat Konjunktur. Aus medialen Debatten und der politischen Kommunikation über den Zustand unserer Gesellschaft ist der Terminus, der bis vor kurzem jenseits der Welt der Think Tanks nahezu unbekannt war, mittlerweile kaum mehr wegzudenken. Man begegnet ihm wie selbstverständlich in Parteiprogrammen, auf Wahlplakaten, in politischen Kommentaren und in Talkshow-Diskussionen. Gleichzeitig bleibt sein Gehalt in diesen Kontexten oftmals diffus und lässt sich darauf reduzieren, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt grundsätzlich etwas Gutes und Erstrebenswertes sei, jedoch aktuell bedroht werde oder schwinde und daher wieder gestärkt werden müsse. Vor dem Hintergrund dieser Alltagsbeobachtung zielt die Tagung auf eine heuristische und transparent machende Dekonstruktion des Begriffs aus medienpädagogischer Perspektive.

Ausgangspunkt hierfür ist zweifelsohne die soziale und kommunikative Konstruktion von Wirklichkeit – und somit auch des gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie die ihn konstituierenden Prozesse und Praktiken. Einen massgeblichen Faktor in diesem Zusammenhang stellt das Handeln von Bürger*innen mit verschiedenen Kom­munikationsmedien bzw. die Eingebundenheit in sozio-mediale Gefüge und die damit verbundene Möglichkeit dar, sich mit verschiedenen Individuen, Gruppen und Öffentlichkeiten in Beziehung zu setzen. Dementsprechend bedeutsam sind Medien im Zuge ihrer öffentlich-rechtlichen Institutionalisierung als Katalysator gesellschaftlicher Integrationsprozesse neben familialen, beruflichen und bildungsinstitutionellen Kontexten.

Insbesondere mit Blick auf den Bereich öffentlicher Kommunikation hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bezug auf diese Integrationsfunktion in zahlreichen Feldern eine zweifache Herausforderung herauskristallisiert: Während öffentlicher Kommunikation zum einen die Funktion zugeschrieben wird, geteilte Themeninteressen, Wissensbestände und Wertorientierungen zu vermitteln, soll zum anderen in der Medienöffentlichkeit die steigende Vielfalt der sozialen und kulturellen Lebensumstände und -entwürfe der Bevölkerung widergespiegelt werden.

So besteht weitgehender Konsens darüber, dass sich mit dem Internet und dem Aufkommen kommunikativer Online-Netzwerke für die meisten Menschen der Zugang zur Öffentlichkeit enorm vereinfacht hat. Eng damit verbunden ist die Aufhebung bzw. Verringerung der Asymmetrie zwischen Kommunikator*innen und Rezipient*innen, die charakteristisch für die traditionelle Massenkommunikation war. Die nahezu ausschliesslich mediale Funktion der Orientierung und Komplexitätsreduktion hat einem deutlich dynamischeren Verhältnis Platz gemacht, zu dem flexible Rollenwechsel gehören. Mehr noch hat die tiefgreifende Mediatisierung aller Lebensbereiche nicht nur den Strukturwandel von Produktion, Distribution und Nutzung öffentlicher Kommunikation beschleunigt. Bürger*innen können nahezu überall und jederzeit Konnektivität erfahren, müssen damit leben, dass ihre Medienpraktiken «datafiziert» und der öffentlichen (wie auch wissenschaftlichen) Beobachtung zugänglich gemacht werden und sie selbst dadurch zum Gegenstand der Aushandlung von Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden können.

Diese Veränderungen gehen zugleich mit einem Bedeutungsgewinn von partizipativen sowie algorithmischen Selektions-, Aggregations- und Distributionsleistungen einher, so dass zum einen die Frage nach einem veränderten Verständnis von Massenkommunikation und ihrer Rolle bei der Herstellung von Öffentlichkeit zu stellen ist (bspw. mit Blick auf data journalism) . Zum anderen ist zu hinterfragen, ob diese Entwicklung auch zu einer Fragmentierung und Polarisierung von Bevölkerungsgruppen führt.

Online-Plattformen scheinen dabei für populistische und extremistische Kommunikationsstrategien und -stile, welche zur Polarisierung der Gesellschaft und damit zu einer Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes beitragen, einen Nährboden zu bereiten. Zugleich sind Suchmaschinen, Netzwerk- oder Videoplattformen mittlerweile unverzichtbare Werkzeuge, um sich in der verfügbaren Vielfalt des Internets zu orientieren und neue Formen der Vergemeinschaftung zu initiieren. Ihre Medienlogik – die Strukturierung von Kommunikation ebenso wie die zugrundeliegenden Geschäftsmodelle – beruht auf der umfassenden Datafizierung und Algorithmisierung und kulminiert im Leitprinzip der Personalisierung. Insbesondere die sozialen Medien mit ihren vielfältigen Kommentar- und Empfehlungsfunktionen machen die dialogisch orientierte Anschlusskommunikation für grosse Kreise sichtbar. Was in vielen Situationen dabei helfen kann, einen Einblick in das Meinungsklima des sozialen Umfelds und die Vielfalt denkbarer Haltungen zu gewinnen, kann im Extremfall in populistischen «Echokammern» münden, in denen sich Menschen nur noch in ihrer vorgefassten Meinung bestätigen oder gar radikalisieren, was sich etwa in der Zunahme von «hate speech» ausdrückt. Aspekte wie kommerzielle Interessen der Plattformen, das Verschwinden journalistischer Gatekeeper, Skandalisierung von Narrativen durch Fake News sowie technologische Komponenten wie die Instrumentalisierung algorithmenbasierter Anzeigemechanismen, das Schaffen von Meinungstendenzen und alternativen Realitäten durch Social Bots deuten auf die Tragweite möglicher problematischer Entwicklungen hin. In der Summe können diese Facetten digitaler Medien demokratieuntergrabende Kommunikationsstrategien begünstigen und die gemeinschaftsstiftenden Potenziele überlagern.

Angesichts dieser Beschreibung wird deutlich, dass die Rahmenbedingungen interpersonaler und (teil-)öffentlicher Kommunikation wesentliche kulturelle Faktoren für die Qualität und Ausprägung gesellschaftlichen Zusammenhalts sind. Eine Aufgabe medienpädagogischer Forschung liegt daher in der genaueren Bestimmung der Umstände, unter denen die Strukturen interpersonaler und (teil-)öffentlicher Kommunikation Zusammenhalt fördern beziehungsweise untergraben. Von zentralen Erkenntnisinteresse sind dabei die politischen, ökonomischen, medienrechtlichen und medientechnischen Bedingungen der Online-Netzwerke, die aktuell an einer Fragmentierung und Stratifikation der Gesellschaft mitwirken, deren Potenzial jedoch in einer deliberativen Partizipation und damit auch einer Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts liegt.

Einreichungen

Wir bitten um Einreichungen, die insbesondere Schnittfelder erziehungswissenschaftlicher, kommunikationswissenschaftlicher und medienwissenschaftlicher Forschung zu Phänomenen und Praktiken des gesellschaftlichen Zusammenhalts in den Blick nehmen. Dabei können beispielsweise folgende Fragenkomplexe (direkt oder indirekt) adressiert werden:

  • Welche Folgen hat der Wandel der technischen Möglichkeiten (teil-)öffentlicher Meinungsbildung und medialer Partizipation für das Selbstverständnis und die politische Meinungsbildung der Gesellschaften der Gegenwart?
  • Unter welchen Bedingungen kollidiert das Ideal des gesellschaftlichen Zusammenhalts mit anderen zentralen Werten, wie dem der Meinungsfreiheit oder der journalistischen Informationspflicht?
  • Welche den gesellschaftlichen Zusammenhalt untergrabende oder fördernde Kommunikationspraktiken und -stile sind auf die medientechnischen, ökonomischen und sozialen Spezifika von Online-Netzwerken zurückzuführen und wie gestalten sich diese?
  • Welche Kompetenzen benötigen Bürger*innen, um selbstbestimmt und demokratisch Medien nutzen zu können?
  • Inwieweit kann die Medienpädagogik als Disziplin den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern?

Interdisziplinär ausgerichtete, oder aus anderen Fachdisziplinen stammende Beiträge sind ausdrücklich erwünscht. Die Tagung soll Raum zum intensiven und fachübergreifenden Austausch bieten. Erbeten werden konzeptionelle und theoretische Beiträge sowie empirische Arbeiten, auch aus laufenden Projektkontexten. Volltexte der Beiträge können nach der Tagung zur Publikation im Jahrbuch Medienpädagogik 19 eingereicht werden.

Interessent*innen sind eingeladen, bis 28. Februar 2021 ein Abstract von ca. 500 Wörtern (Literatur wird nicht berechnet) elektronisch einzureichen unter:
https://www.conftool.com/mpaed2021/

Die Mitteilung über die Annahme der Abstracts erfolgt im Frühjahr 2021.

Die Veranstaltung wird als hybrides Tagungsformat (Präsenz & virtuell) mit Panelsessions und interaktiven Postersessions geplant, an der, je nach Corona-Infektionslage, eine begrenzte Anzahl von Teilnehmer*innen vor Ort zusammenkommen können.

Aktuelle Informationen sind auf der
Tagungswebseite zu finden
https://sites.ifkw.lmu.de/mpaed2021/

Kontakt

mpaed2021@medienpaed.com

Organisation

  • Sonja Ganguin (Universität Leipzig)
  • in Kooperation mit der Sektion Medienpädagogik (DGfE) und der Fachgruppe Medienpädagogik (DGPuK).