Medienpädagogik und (Medien-)Sozialisation im Spiegel zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen des 21. Jahrhunderts - #mpaed2023f

Frühjahrstagung der Sektion Medienpädagogik (DGfE) am Donnerstag, 30. und Freitag, 31. März 2023 an der Leuphana-Universität Lüneburg. Organisiert durch Henrike Friedrichs-Liesenkötter, Jane Müller, Anja Schwedler-Diesener und Mareike Thumel.

Eine Kooperation der Leuphana-Universität Lüneburg und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Bitte reichen Sie Ihren Beitrag bis zum 15. Dezember 2022 über https://www.conftool.com/mpaed2023f ein.  Dort finden sie auch Hinweise zur formalen Gestaltung.
Call for Papers als PDF

Tagungswebsite: https://leuphana.de/mpaed2023

 

Thema

«Deutschland und Europa stehen im 21. Jahrhundert vor der Aufgabe, große Veränderungen zu bewältigen, die durch Treiber wie Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und Demographie beeinflusst werden» (BMBF 2022). Dabei lassen sich aktuell vielfältige globale Herausforderungen benennen, die eng miteinander verflochten sind. An dieser Stelle möchten wir exemplarisch drei benennen:

Die Themen Umwelt und nachhaltige Entwicklung sind zentrale Themen unserer Gesellschaft, die vielfach diskutiert werden und für die sich insbesondere junge Heranwachsende (Quenzel et al. 2019) durch die Streiks der Fridays for Future-Bewegung lautstark einsetzen. Deren übergeordnetes Ziel ist die Einhaltung der Klimaziele, die die Staaten im UN-Weltklima-Abkommen 2015 in Paris beschlossen. Der Klimawandel wurde zuletzt unter den Eindrücken von Naturkatastrophen medial aufgegriffenen. Parallel dazu erlebt die Gesellschaft einen Digitalisierungsschub. Digitale Medien sind zentrale Kommunikations- und Organisationsmittel in der Freizeit und im Beruf – verstärkt durch die COVID-19-Pandemie – und im Bildungsbereich, zumindest in der Schule, wird die Ausstattung mit digitalen Technologien gefördert. Eine hohe Innovationsdichte stellt ein zentrales Charakteristikum der tiefgreifenden Mediatisierung dar. Infolge dieser werden immer neue Geräte auf den Markt gebracht – sei es aus ökonomischen Verwertungslogiken und/oder aus Gründen tatsächlicher Verbesserungen der bestehenden Technik, teils ohne die daraus resultierenden Folgewirkungen mitzubedenken (bspw. ökologischer Rebound-Effekt). Ob das jeweils neue digitale Device tatsächlich gebraucht wird, durch ein Software-Update nötig wird oder der Bedarf erneut einer kapitalistischen Marktlogik entspringt, ist dabei zu diskutieren. Zweifelsfrei steigt der Ressourcenverbrauch, der Bedarf an ‹conflict minerals›, der Bedarf an elektrischer Energie und die mit der Digitalisierung verbundenen CO2-Emmissionen (Sühlmann-Faul und Rammler 2018). Demgegenüber sind digitale Tools zentral, um mit Herausforderungen wie extremen Wetterphänomenen umgehen zu können (z. B. durch Warnsysteme) (Barberi et al. 2020) und sie sind zu allererst auch jene technischen Hilfsmittel, die so etwas wie den Klimawandel erst berechenbar machen (Chun 2015). Es stellt sich unter anderem die Frage, wie die Gesellschaft, ihre Akteur:innen und in diesem Zusammenhang auch die (Medien-)Pädagogik mit Blick auf eine anzustrebende verantwortungsvolle Balance von Digitalisierung und Nachhaltigkeit agieren kann (Schluchter und Maurer 2021).

Doch die Frage nach einer nachhaltigeren Entwicklung unserer Gesellschaft, sollte nicht nur auf die ökologische Dimension beschränkt werden, indem die Digitalität insbesondere auch demokratische Strukturen ins Wanken bringen kann und es insofern ein Mehr an demokratischen Aushandlungsprozessen und «Diskursarenen» (WBGU 2018) braucht: Digitale Medien, allen voran das Internet, gelten mit ihrer Fülle an Information als Tor zur Welt. Das Thema Desinformation ist in diesem Zusammenhang seit mehreren Jahren bekannt. Im Zuge der Corona-Pandemie und damit aufkommender Verschwörungsmythen sowie durch manipulierte Bilder und Videos, u.a. zum Krieg in der Ukraine, hat das Thema Desinformation in jüngster Zeit jedoch weiter an Brisanz gewonnen und wird nun vermehrt in medienpädagogischen Materialien und Projekten aufgegriffen. Das oftmals formulierte Risiko, dass Desinformationen zur Gefahr von Demokratien werden können, gewinnt im aktuellen politischen Geschehen zunehmend an Brisanz (Schünemann 2021). Dementsprechend stehen sich die mediale Omnipräsenz und schwer zu durchschauende Technologien in vielfältiger Weise als Herausforderungen, aber auch als Chance gegenüber. Einher geht dies mit veränderten Konstellationen aus Akteur:innen, Interessen und Angeboten. Darüber hinaus gewinnt die Aushandlung von Regeln und Normen des Zusammenlebens, die durch die Digitalität (z. B. Algorithmizität, Datafizierung) vielfach irritiert sind, an Bedeutung (Grimm et al. 2019). In diesem Kontext stellt sich unter anderem die Frage, wie die Medienpädagogik zur Förderung und Stärkung der Demokratie beitragen und Bürger:innen unterstützen kann, sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen kritisch auseinanderzusetzen und allen die aktive Teilnahme am politischen Leben zu ermöglichen.

Der Zerfall von Demokratien, Kriege, politische oder religiöse Verfolgungen oder Vertreibungen, aber auch wirtschaftliche Nöte führen zu Flucht- bzw. Migrationsbewegungen. Digitale Medien spielen im Hinblick auf Flucht bzw. Migration eine zentrale Rolle: Medial vermittelte Bilder können Fluchtentscheidungen prägen, etwa wenn besonders geschönte Vorstellungen des Ziellands gezeigt werden. Während der Flucht haben Handys bzw. Smartphones eine existenzielle Bedeutung, indem Fluchtwege navigiert oder Notrufe abgesetzt werden können (vgl. Emmer et al. 2016; Richter et al. 2018). In der Phase nach der Flucht stellen digitale Medien das Bindeglied zu Familie und Freund:innen im Herkunftsland dar. Des Weiteren kann im Ankunftsland einerseits über die Nutzung und Auseinandersetzung mit digitalen Medien in der informellen Lebenswelt sowie in formalen und non-formalen Bildungsarrangements Orientierung, Bildung und Teilhabe vermittelt (Friedrichs-Liesenkötter et al. 2020), andererseits im Zuge einer verschärften Digitalität auch bestehende (digitale) Ungleichheiten weiter verschärft werden (Fujii et al. 2021). Unter anderem stellt sich hier die Frage, wie (medien-)pädagogische Praxis gestaltet sein sollte, um zielgruppengerecht die Bewältigung von Herausforderungen im Lebensalltag von jungen Personen mit Migrations-/Fluchterfahrung begegnen und Prozesse der Medienbildung bzw. media literacy anregen zu können (Bruinenberg et al. 2021).

Die genannten Beispiele können als gesellschaftliche Herausforderungen gerahmt werden, da sie potenziell, direkt oder indirekt auf das Leben und Aufwachsen Einfluss nehmen. Sie finden in einer Gesellschaft statt, die als (tiefgreifend) mediatisiert (Hepp 2021) bzw. durch eine Kultur der Digitalität (Stalder 2016) geprägt beschrieben werden kann. Gesellschaftliche Herausforderungen begegnen Menschen medial vermittelt über unterschiedliche Zugangswege und werden von ihnen ebenso aufgegriffen und weiterverarbeitet. Dabei agieren sie im Rahmen der Möglichkeiten, die Plattformbetreibende, Gesetzgebende oder – im Fall Heranwachsender – Erziehungsberechtigte für sie vorgeben und gestalten. Dies bedeutet für einige Gruppen auch, dass sie durch die vorfindlichen Gesellschaftsstrukturen von entsprechenden Prozessen ausgeschlossen bleiben. Damit wird deutlich, dass globale gesellschaftliche Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen Lebenswelten und damit heutiges Aufwachsen tangieren und/oder verändern. Sie werden somit für die Medienpädagogik als Fachdisziplin und als Praxisfeld zunehmend relevanter.

Vor diesem Hintergrund möchte die Frühjahrstagung 2023 der Sektion Medienpädagogik der DGfE eine Plattform bieten, sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern die beschriebenen Herausforderungen in der Medienpädagogik aufgegriffen werden könn(t)en und soll(t)en.

Beiträge

Wir freuen uns über Beiträge, die sich mit den folgenden oder daran anknüpfenden Fragestellungen theoretisch oder empirisch auseinandersetzen:

  • Welche Bedeutung haben die (beschriebenen oder weitere) Herausforderungen im Zuge der (Medien-)Sozialisation von Kindern und Jugendlichen und auch über die gesamte Lebensspanne hinweg? Wie werden spezifische (ggf. benachteiligte) Personengruppen durch die Medienpädagogik in diesem Zusammenhang adressiert?
  • Welche Zielstellungen ergeben sich aus den beschriebenen oder weiteren globalen Entwicklungen für die Rolle der Medienpädagogik? Welche (neuen) theoretischen und/oder empirischen Zugänge braucht es? Wie können die Themen in der medienpädagogischen Praxis aufgegriffen werden?
  • Wie greifen verschiedene Akteur:innengruppen aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen in ihrem Alltag auf? Inwiefern beziehen sie sich auf diese? Welche interdisziplinären Anschlussstellen können für die Weiterentwicklung des Faches Medienpädagogik fruchtbar gemacht werden? Welche Schnittstellen/Themenfelder werden für die Aus- und Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte relevant?
  • Welche Rolle kommt digitalen Medien dabei zu, die beschriebenen oder weitere globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bearbeiten? Welche Unterstützung im Hinblick auf diese spezifischen Herausforderungen brauchen die Heranwachsenden sowie die pädagogischen Fachkräfte?

Insofern es im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen auch in gewissem Masse um ein Antizipieren zukünftiger Entwicklungen geht, sind auch solche Beiträge willkommen, die empirische oder theoretische Ansätze sowie Gedankengänge skizzieren, deren Erarbeitung aber noch nicht abgeschlossen ist. Wir möchten insofern auf der Tagung eine «Diskursarena» eröffnen, wie dies vom WBGU (2018) gefordert wird.

Neben Einreichungen zum aktuellen Thema der Frühjahrstagung besteht die Möglichkeit zur themenunabhängigen Präsentation von (Zwischen-)Ergebnissen aus laufenden Forschungsprojekten. Beiträge sollten bereits im Abstract entsprechend ausgewiesen werden.

Einreichung und Ablauf

Die Tagung möchte dazu einladen, über bestehende Forschungsarbeiten zu informieren, aber ebenso die Möglichkeit eröffnen, zukünftige (gemeinsame) Arbeiten (ggf. auch interdisziplinär) anzuregen. Zu diesem Zweck stehen insgesamt vier Formate der Beteiligung zur Verfügung: Poster, Vorträge, thematische Panels und Workshops. Interessierte sind eingeladen, Abstracts im Umfang von 500 Wörtern (exkl. Literatur) für Poster und Einzelvorträge sowie von insgesamt 1500 (exkl. Literatur) Wörtern für Panels (Manteltext und Einzelabstract) bzw. Workshopideen bis zum 15. Dezember 2022 über https://www.conftool.com/mpaed2023f einzureichen.

Beiträge zum Doktorand:innenforum

Im Rahmen der Tagung organisiert das Junge Netzwerk Medienpädagogik ein Doktorand:innenforum für Wissenschaftler:innen in der Promotionsphase. Hierzu können vom Tagungsthema unabhängige Beiträge als Vorträge oder Poster eingereicht werden. Im Doktorand:innenforum werden den Beitragenden etablierte Wissenschaftler:innen aus der Fachgemeinschaft als Critical Friends zur Seite gestellt, die ihnen im Anschluss an ihren Beitrag ein kritisch-konstruktives Feedback zu ihrem Projekt und Hinweise für die weitere Arbeit geben.

Interessierte sind eingeladen, Abstracts im Umfang von 500 Wörtern (exkl. Literatur) bis zum 15. Dezember 2022 einzureichen. Für das Doktorand:innenforum bitten wir zusätzlich um eine Kurz-Vita (ca. 500 Zeichen) sowie die Angabe der Namen der aktuellen Betreuer:innen und evtl. Wünsche für eine:n Critical Friend.

Die Mitteilung über die Annahme der Abstracts erfolgt im Januar 2023.

Die Beiträge der Frühjahrstagung können im Anschluss an die Tagung in ein gleichnamiges Themenheft der Zeitschrift MedienPädagogik eingereicht werden. Daher sind Autorinnen und Autoren aufgerufen, ihre Beiträge bereits frühzeitig zu verschriftlichen, um den Veröffentlichungsprozess zu verkürzen.

Kontakt

E-Mail: mpaed2023f@medienpaed.com

Tagungswebsite: https://leuphana.de/mpaed2023

Literatur

Barberi, Alessandro, Nina Grünberger, Klaus Himpsl-Gutermann, und Thomas Ballhausen. 2020. «Editorial 3/2020: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Medienpädagogik? – Über neue Herausforderungen und Verantwortungen». Medienimpulse 58 (3): 14 Seiten. https://doi.org/10.21243/mi-03-20-24.

BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung. 2022. «Gesellschaftliche Herausforderungen meistern». https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/geistes-und-sozialwissenschaften/gesellschaftliche-herausforderungen-meistern/gesellschaftliche-herausforderungen-meistern_node.html.

Bruinenberg, Hemmo, Sanne Sprenger, Ena Omerović, und Koen Leurs. 2021. «Practicing Critical Media Literacy Education with/for Young Migrants: Lessons Learned from a Participatory Action Research Project». International Communication Gazette 83 (1): 26–47. https://doi.org/10.1177/1748048519883511.

Chun, Wendy Hui Kyong. 2015. «On Hypo-Real Models or Global Climate Change: A Challenge for the Humanities». Critical Inquiry 41 (3): 675–703. https://doi.org/10.1086/680090.

Emmer, Martin, Carola Richter, und Marlene Kunst. 2016. «Flucht 2.0: Mediennutzung durch Flüchtlinge vor, während und nach der Flucht». Freie Universität Berlin. https://doi.org/10.17169/refubium-20366.

Friedrichs-Liesenkötter, Henrike, Jana Hüttmann, und Freya-Maria Müller. 2020. «Teilhabe von geflüchteten Jugendlichen im Kontext digitaler Medien: Digital unterwegs in transnationalen Welten». In Jahrbuch Migration und Gesellschaft, herausgegeben von Hans Karl Peterlini und Jasmin Donlic, 1:65–84. Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.14361/9783839444801-005.

Fujii, Michi Sebastian, Jana Hüttmann, Nadia Kutscher, und Henrike Friedrichs-Liesenkötter. 2020. «Participation?! Educational Challenges for Young Refugees in Times of the COVID-19 Pandemic». Media Education 11 (2): 37–47. https://doi.org/10.36253/me-9605.

Grimm, Petra, Tobias O. Keber, und Oliver Zöllner, Hrsg. 2019. Digitale Ethik: Leben in vernetzten Welten. Kompaktwissen XL, Nr. 15240. Ditzingen: Reclam.

Hepp, Andreas. 2021. Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft: über die tiefgreifende Mediatisierung der sozialen Welt. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Quenzel, Gudrun, Klaus Hurrelmann, Mathias Albert, und Ulrich Schneekloth. 2019. «Jugend 2019: Eine Generation meldet sich zu Wort». In Jugend 2019 – 18. Shell Jugendstudie. Eine Generation meldet sich zu Wort, von Mathias Albert, Klaus Hurrelmann, und Gudrun Quenzel, 313–24. Weinheim: Beltz.

Richter, Carola, Martin Emmer, und Marlene Kunst. 2018. «Flucht 2.0: Was Geflüchtete wirklich mit ihren Smartphones machen». Social Transformations 2 (2). https://www.socialtrans.de/index.php/st/article/view/20.

Schluchter, Jan-René, und Björn Maurer. 2021. «Editorial: Medienbildung für nachhaltige Entwicklung». merz - medien + erziehung 04 (MedienBildung für nachhaltige Entwicklung). https://www.merz-zeitschrift.de/alle-ausgaben/details/2021-04-medienbildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/#72431.

Stalder, Felix. 2017. Kultur der Digitalität. 2. Aufl. Berlin: Suhrkamp.

Schünemann, Wolf J. 2021. «Das Desinformationsdilemma – Demokratische Herausforderungen durch Falschnachrichten und ihre Bekämpfung». In Demokratie im Stresstest, herausgegeben von Carl Deichmann und Marc Partetzke, 193–210. Politische Bildung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33077-4_11.

Sühlmann-Faul, Felix, und Stephan Rammler. 2018. Der blinde Fleck der Digitalisierung: wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen lassen. München: oekom verlag.

WGBU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2018. «Digitalisierung. Worüber wir jetzt reden müssen». Geschäftsstelle WBGU. https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/factsheets/digitalisierung.pdf.