Laudatio zu Michaela Kramers «Visuelle Biografiearbeit. Eine rekonstruktive Triangulationsstudie über Smartphone-Fotopraktiken in der Adoleszenz»

Schlagworte

Dissertationspreis
Laudatio
Biografiearbeit
Triangulation
Visuelle Kompetenz

Zitationsvorschlag

Aufenanger, Stefan, und Heinz Moser. 2021. „Laudatio Zu Michaela Kramers «Visuelle Biografiearbeit. Eine Rekonstruktive Triangulationsstudie über Smartphone-Fotopraktiken in Der Adoleszenz»: Dissertationspreis 2021 Der Sektion Medienpädagogik Der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (Dezember). https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2021.12.27.X.

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Copyright (c) 2021 Stefan Aufenanger, Heinz Moser

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Abstract

Laudatio zu

Kramer, Michaela. 2020. Visuelle Biografiearbeit: Smartphone-Fotografie in der Adoleszenz aus medienpädagogischer Perspektive. Lebensweltbezogene Medienforschung, Band 8. Baden-Baden: Nomos.
https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2021.12.27.X

Laudatio zu Michaela Kramers «Visuelle Biografiearbeit. Eine rekonstruktive Triangulationsstudie über Smartphone-Fotopraktiken in der Adoleszenz»

Dissertationspreis 2021 der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

Die Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft zeichnet regelmässig Dissertationen aus, die von hohem wissenschaftlichem Interesse sind, über ein hohes Mass an Originalität verfügen und einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Theorie und/oder Praxis der Medienpädagogik leisten. Und in Abstimmung mit dem Vorstand der Sektion haben die Herausgeber der Zeitschrift MedienPädagogik vor zwei Jahren beschlossen, die Laudationes für die Preistragenden des Promotionspreises der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft in der Rubrik «Rezension» zu veröffentlichen. Mit der nun vorliegenden Laudatio von Prof. Dr. Stefan Aufenanger und Prof. Dr. Heinz Moser wird diese Vorgehensweise fortgeführt und auf diese Weise werden die Preistragenden nochmals gewürdigt und wir können gleichsam auf die erstellte Dissertation hinweisen.

Michaela Kramer hat ihre Dissertation «Visuelle Biografiearbeit. Eine rekonstruktive Triangulationsstudie über Smartphone-Fotopraktiken in der Adoleszenz» 2020 verteidigt und mit «summa cumm laude» promoviert. Die Arbeit ist im Nomos-Verlag erschienen.

Die beiden Gutachter Prof. Dr. Rudolf Kammerl (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Prof. Dr. Uwe Hasebrink (Hans-Bredow-Institut für Medienforschung, Universität Hamburg) haben die Dissertation für den Promotionspreis der Sektion Medienpädagogik der DGfE vorgeschlagen, der alle zwei Jahre vergeben wird. Nach eingehender Prüfung sind die Juroren der Sektion diesem Vorschlag gefolgt und die Preisverleihung fand im Rahmen der Herbsttagung «Gesellschaftlicher Zusammenhalt» online statt. Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung der Laudatio, die Prof. Dr. Stefan Aufenanger und Prof. Dr. Heinz Moser im Rahmen der Preisverleihung vorgetragen haben.

Dass nicht nur junge Menschen, sondern auch Ältere ihr Smartphone nutzen, um Fotos oder Videos zu machen, erleben wir überall in unserem Alltag. Vor allem im Bereich der sozialen Netzwerke wie etwa WhatsApp, Instagram oder TikTok werden jeden Tag Millionen von visuellen Nachrichten ausgetauscht oder Bilder aus dem Alltagsleben gepostet. Die Arbeit von Michaela Kramer geht der Frage nach, welche Rolle Smartphone-Fotografie für die Entwicklung einer eigenen Biografie in der Adoleszenz spielt. Sie greift damit auch einen in der Medienpädagogik vernachlässigten Bereich auf, nämlich die Fotografie. Damit beginnt auch der Argumentationsgang der Arbeit, nämlich einer Darstellung des Wandels der Fotografie im privaten Bereich, der natürlich enorm durch Smartphones geprägt ist. Zugleich wird verbunden damit auch die Rolle der sozialen Medien angesprochen, durch die eine unermessliche Verbreitung von Smartphone-Fotografie erfolgt ist. Frau Kramer zeigt dann im weiteren Gang der Arbeit auf, dass die Bedeutung von Fotos bzw. der Fotografie in der Jugendkultur in der Medienpädagogik bisher zwar schon thematisiert wurde, aber die Einführung der Smartphones doch zu einem erheblichen Wandel dieser Nutzung geführt hat, der genauer untersucht werden muss. Vor allem stellt sich die Frage nach Nutzungsformen und -praktiken, besonders im Kontext der Identitätsfindung in der Adoleszenz, also, welche Rolle die visuelle Kommunikation bei Jugendlichen spielt, bedingt auch durch Erfahrungen in ihren Sozialisationsinstanzen wie etwa die Familie.

Bevor sich aber nun diesen konkreten Fragen zugewandt wird, wird der theoretische Rahmen auf drei Ebenen entfaltet: einer gesellschaftlichen Ebene, auf der es um die Prozesse der Individualisierung und Mediatisierung geht, einer eher individuellen Ebene der Biografiearbeit und Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz sowie einer Ebene der Medien selbst, in der die Fotografie ins Zentrum rückt. Auf allen drei Ebenen wird systematisch die Theorieentwicklung sowie die Forschungslage referiert.

Methodisch wird der Ansatz einer Triangulation gewählt, in dem die Fotopraktiken von ausgewählten Jugendlichen in medienbiografischen Interviews erhoben werden, sowie einer ausführlichen qualitativen Bildanalyse an von den befragten Jugendlichen selbst ausgewählten Fotos. Dazu wird der Ansatz der Dokumentarischen Methode von Bohnsack nicht nur auf die Interviews, sondern auch auf das Bildmaterial angewandt. Beide Vorgehensweisen werden abschliessend in einer Typenbildung zusammengeführt. Damit ist Frau Kramer einen originellen und innovativen Weg gegangen, der dazu beitragen kann, forschungsmethodische Ansätze auf neue bzw. andere Objektbereiche zu übertragen als nur immer auf schriftsprachliche Transkripte. Die Darstellung der Forschungsergebnisse gibt einen ausgezeichneten Einblick in die Handlungspraktiken von Jugendlichen mit der Smartphone-Fotografie und verbunden damit auch in die Bedeutungskonstruktion für ihre Biografie. Methodisch gelingt die Typenbildung durch eine ausgezeichnete Reflexion der in den Fällen gewonnenen Ergebnisse und deren Bündelung zu Typen. Dies passiert auf der Grundlage der Rekonstruktion von zwölf Fallanalysen mit dem Ergebnis von drei Typen visueller Biografiearbeit: Distinktion, Konformität und Risikominimierung. Während es auf der gesellschaftlichen Ebene beim Typus der Distinktion um eine Abgrenzung sozialer Identität und dem Spielen mit Rollenstereotypen geht, verhält es sich beim Konformitätstyp genau umgekehrt. Und beim dritten Typus, der Risikominimierung, steht ein ausser-Acht-lassen sozialer Normen und eine Nicht-Identifikation mit sozialen Normen im Vordergrund. Auf der individuellen Ebene setzt der dritte Typus eher auf die Form des Abbilds zur Biografiearbeit als auf eine körperbezogene Aushandlung der Fotografien sowie einer Orientierung am Mainstream bei dem zweiten Typus. Der erste Typus der Distinktion geht die Produktion von visuellen Bildern eher professionsorientiert an und orientiert sich an einer authentischen Darstellung des Selbst.

Die Arbeit von Kramer bleibt aber nicht nur bei diesen Ergebnissen stehen, sondern greift reflexiv darüber hinaus, indem das Thema einer Visuellen Kompetenz in die aktuellen Diskussionen um Medienkompetenz oder digitale Kompetenz notwendiger Weise aufgegriffen werden muss. Dies bedeutet vor allem, zum einem die fototechnischen Kompetenzen von Jugendlichen zur eigenen Biografiearbeit zu respektieren, zum anderen aber auch, ihre Fähigkeiten zur kritischen Analyse der ikonischen und symbolischen Bedeutung von Bildern zu fördern. Die Arbeit stellt aber auch einen wesentlichen Beitrag zur Jugendmedien- als auch zur Biografieforschung dar.

Insgesamt gesehen ist die Dissertation von Frau Kramer von hohem wissenschaftlichem Wert, da sie auf eine mediale Handlungspraktik erkenntnisorientiert zielt, die wir alle in unserem Alltag mit unseren Smartphones häufig ausüben, nämlich die Fotografie, ohne über deren Bedeutung gross nachzudenken. Als originell muss die Verbindung von Smartphone-Fotografie zur Biografiearbeit von Jugendlichen gesehen werden, die eine neue Sicht auf Fragen der Identitätsentwicklung öffnet. Und nicht zuletzt hat die Arbeit zu einer interessanten Weiterentwicklung medienpädagogischer Theoriebildung und zur medienpädagogischen Forschungsmethodik einen Beitrag geleistet, indem sie die visuelle Kommunikation ins Zentrum von Medienkompetenzdiskussion stellt und rekonstruktive Methoden auf Bildmaterial anwendet.

Damit erfüllt Frau Kramer mit ihrer Dissertation in optimaler Weise die Kriterien des Dissertationspreises der Sektion Medienpädagogik und gebührt ihn auch entsprechend.