Blinde Flecken und präskriptive Un-schuld. Zur Morphologie medienpädagogischer Urteilsformen
PDF

Schlagworte

Medienpädagogik
Medienkompetenz
Wissenschaftsgeschichte

Zitationsvorschlag

Leschke, Rainer. 2017. „Blinde Flecken Und präskriptive Un-Schuld. Zur Morphologie medienpädagogischer Urteilsformen“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 27 (Spannungsfelder & blinde Flecken): 86–99. https://doi.org/10.21240/mpaed/27/2017.02.24.X.

Lizenz

Copyright (c) 2017 Rainer Leschke

Creative-Commons-Lizenz
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

Abstract

Die implizite Normativität des eigenen Vorgehens gehört bekanntlich zu den am besten bewahrten Geheimnissen der meisten kulturwissenschaftlichen Projekte. Im allgemeinen kulturwissenschaftlichen Feld mag das noch angehen und als lässliche Schwäche kodiert werden, im Bildungsbereich hingegen ist das geradezu fatal, werden doch Biographien mit Zielvisionen beschwert, deren sie sich – wenn überhaupt – nur noch schwer wieder entledigen können. Diese impliziten Leitmodelle von Medienbildung präformieren daher nicht nur Bildungsprogramme und strapazieren damit kollektive Ressourcen, sie statten Biographien mit kulturellen Leitplanken und Reiseprogrammen aus, die eigentlich durch nichts, wenigstens nicht durch Reflexion gedeckt sind. Am normativen Grund der Medienbildung herrscht mithin ein systematisches Reflexionsdefizit und dass dieses jetzt angegangen werden soll, ist sicherlich nicht zufällig, denn zumindest eines dürfte gegenwärtig Konsens sein: die zunehmende Erschlaffung der normativen Kraft und Verbindlichkeit von für mehr oder minder ewig erachteten Vorstellungen von Subjektivität, Wissen und Bildung. Der zunehmende Verlust der Legitimität und Anerkennung dieser impliziten Normativität setzt Medienpädagogik unter einen enormen Rechtfertigungsstress. Sie erzeugt so jene Spannung, die medienpädagogische Bemühungen verortet zwischen einem kaltschnäuzig blinden ‹Weiter so!›, das die Scheuklappen nur umso entschlossener ins Gesicht zieht, und einer zaghaften Orientierungslosigkeit, die sich an jeden vorbeiziehenden Strohhalm klammert, wenn sie in jeglichem neuen medientechnologischen Feature zugleich ein neues Menschenmodell heraufziehen sieht. Dabei wird das Menschenbild – im Übrigen ein Bild, und damit eine mediale Kategorie – entweder bewahrpädagogisch konserviert – und insofern verfügt die Medienpädagogik in normativer Hinsicht über einen bewahrpädagogischen Kern, wiewohl sie gerade gegen bewahrpädagogische Vorstellungen angetreten war – oder aber outgesourct und damit an die medientechnologische Findigkeit der Medienindustrie abgegeben. Beide Reaktionsmuster scheinen gleichermassen hilflos zu sein und daher dringend der Reflexion zu bedürfen, zumal es sich um eine Existenzfrage der Medienbildung handelt, die systematisch nicht ohne normativen Hintergrund auskommen und daher nicht in metatheoretische Gefilde entfliehen kann.
https://doi.org/10.21240/mpaed/27/2017.02.24.X

Literatur

Baacke, Dieter. 1996. «Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel». In Medienkompetenz als Schlüsselbegriff, hrsg. v. Antje von Rein, 112–124. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Bense, Max. 1965. Ungehorsam der Ideen. Abschließender Traktat über Intelligenz und technische Welt. 3. Aufl., Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1967.

Brecht, Bertolt. 1932. «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat». In Gesammelte Werke in 20 Bänden, Bertolt Brecht, Bd. 18, 133-137. Tsd. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990, 127–134.

Chomsky, Noam. 1965. Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Mass.: The MIT Press.

Enzensberger, Hans Magnus. 1970. «Baukasten zu einer Theorie der Medien». Kursbuch 20, März 1970, 159–186.

Gapski, Harald. 2001. Medienkompetenz. Eine Bestandsaufnahme und Vorüberlegungen zu einem systemtheoretischen Rahmenkonzept. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Habermas, Jürgen. 1962. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Auflage, Neuwied/Berlin 1971 Luchterhand.

Habermas, Jürgen. 1981. Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Kübler, Hans-Dieter. 1996. «Kompetenz der Kompetenz der Kompetenz ... Anmerkungen zur Lieblingsmetapher der Medienpädagogik». Medien praktisch 2/96 11–15.