Fachbezogene Konzepte digitalen Lernens

Schlagworte

Digitales Lehren und Lernen
Grundschule
Rezension

Zitationsvorschlag

Dertinger, Andreas. 2021. „Fachbezogene Konzepte Digitalen Lernens“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (Februar). https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2021.02.10.X.

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Copyright (c) 2021 Andreas Dertinger

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Abstract

Rezension zu

Brandt, Birgit, Leena Bröll, und Henriette Dausend, Hrsg. 2020. «Digitales Lernen in der Grundschule II. Aktuelle Trends in Forschung und Praxis». Münster ; New York: Waxmann. ISBN: 978-3-8309-4196-5. http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-205033.
https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2021.02.10.X

Fachbezogene Konzepte digitalen Lernens

Der Sammelband «Digitales Lernen in der Grundschule II» entstand im Anschluss an das zweite Symposium «Lernen digital» an der Technischen Universität in Chemnitz im Jahr 2019. In der Publikation sind die Hauptvorträge, Vorträge und die Workshopinhalte des Symposiums festgehalten. Mit dem Fokus auf die Primarstufe diskutieren die Beiträge Möglichkeiten, Potenziale und Herausforderungen des unterrichtlichen Einsatzes digitaler Medien aus der Perspektive verschiedener Fachwissenschaften. Inhaltlich richtet sich die Publikation an Forschende, Praktikerinnen und Praktiker in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie an Lehrkräfte.

Im wissenschaftlichen und auch im bildungspolitischen Diskurs gilt es inzwischen als Konsens, dass die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die mit den Schlagwörtern Mediatisierung, Digitalisierung und Digitaler Wandel charakterisiert werden, mit einer Veränderung des schulischen Unterrichts einhergehen (sollten) (GSV 2018; GMK 2020). Die noch nicht beantwortete Frage besteht allerdings darin, welche Richtung dieser Veränderungsprozess einschlagen soll und wie Lehrpersonen hierbei am besten unterstützt werden können. Zudem leiten insbesondere im Grundschulalter unterschiedliche und teils widersprüchliche Vorstellungen von Kindheit das pädagogische Handeln an, wodurch der Frage nach der (grundsätzlichen) Rolle digitaler Medien im Grundschulunterricht eine besondere Brisanz zukommt (Kammerl u. a. 2020). Der von Birgit Brandt, Leena Bröll und Henriette Dausend herausgegebene Sammelband «Digitales Lernen in der Grundschule II» widmet sich dementsprechend einer hochaktuellen und intensiv diskutierten Thematik, die sowohl für die praktische Arbeit von Lehrpersonen, als auch für Forschende in diesem Themengebiet eine große Relevanz hat.

Mit den beiden Hauptvorträgenvon Lutz Kasper und Günter Krauthausen steigt der Sammelband in das Themengebiet ein. Lutz Kasper beschreibt gegenwärtige Herausforderungen der medienpädagogischen Ausbildung im Studium des Grundschullehramtes. Diese sieht er in der Notwendigkeit des Erwerbs sogenannter «digitaler Kompetenzen» durch die angehenden Lehrpersonen. Als Best-Practice-Beispiel wird hierzu ein Blockseminar der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd vorgestellt, in welchem Studierende mit fachübergreifender Betreuung innovative Lernszenarien mit digitalen Medien für den Sachunterricht entwickelt haben. Von Lutz Kasper werden anschauliche, praxisnahe und theoretisch reflektierte Beispiele dargelegt, die eine Vorstellung davon eröffnen, wie eine fachbezogene medienpädagogische Grundschullehrpersonenausbildung zukünftig umgesetzt werden könnte. Mit Blick auf den hierbei antizipierten Unterricht liegt der Fokus auf einer didaktischen Perspektive, unter der sich die Studierenden Möglichkeiten erarbeiten, wie sie ihren zukünftigen Schülerinnen und Schülern sachunterrichtliche Inhalte darbieten. Die «digitalen Kompetenzen», welche die Studierenden hierbei erwerben sollen, bleiben mit dem Verweis darauf, dass dies «überwiegend digitale Kompetenzen [sind, A.D.], die auf dem kreativen Umgang mit bestimmten Hardwarekomponenten […] beruhen» (ebd., 36) allerdings unscharf.

Der in den beiden Hauptvorträgen aufgenommenen fachbezogenen-didaktischen Stossrichtung bleiben die weiteren Beiträge des Sammelbandes treu. So wirft Günter Krauthausen als Vertreter der Mathematikdidaktik im zweiten Hauptvortrag einen kritischen Blick auf die aktuellen Entwicklungen des unterrichtlichen Einsatzes digitaler Medien und fordert für einen adäquaten Umgang mit diesen das «Primat der Didaktik» ein. Gleichzeitig stellt er, gewissermassen an die Medienpädagogik gerichtet, die durchaus herausfordernde Nachfrage, ob es denn überhaupt ein «Primat der Medienpädagogik» gebe (ebd., 48). Ausgehend von dieser didaktischen Schwerpunktsetzung und einer historischen Betrachtung integriert Günter Krauthausen eine wichtige, reflektierende und hinterfragende Sichtweise auf die gegenwärtige schulische Entwicklung in den Sammelband. Der sinngemässen Aussage, dass der unterrichtliche Einsatz digitaler Medien durchdacht und mit Blick auf seine Potenziale erfolgen müsse, ist auf jeden Fall zuzustimmen und genau dieser Forderung kommen die nachfolgenden Beiträge des Sammelbandes nach.

In diesen Beiträgen werden vielfältige Potenziale und Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien für den Grundschulunterricht und stellenweise auch für das Grundschullehramtsstudium dargestellt. Im Fokus stehen hierbei die Fächer Mathematik, Deutsch und Sachunterricht.[1]

Für das Fach Mathematik finden sich in den Beiträgen unterschiedliche Ansätze zum Lernen mit digitalen Medien. Häufig thematisiert wird die Möglichkeit, digitale Medien als Hilfsmittel in Lernsettings zu nutzen. Jacqueline Bonow stellt die Nutzung der App «Das interaktive Rechendreieck» für ein inklusives Lernsetting vor und betrachtet dessen Potenziale anhand einer Pilotstudie. Das Thema Parkettierung wird von Frederik Dilling behandelt, indem er einen empirisch untersuchten Vergleich zwischen einem «klassischen» Ansatz mit Stift, Schere und Papier einerseits und den Möglichkeiten des 3D-Drucks andererseits diskutiert. Auch Tobias Huhmann u. a. präsentieren eine empirische Arbeit zur Entwicklung und zum unterrichtlichen Einsatz einer Pentomino-App und beleuchten, wie durch deren Einsatz der Darstellungsflüchtigkeit entgegengewirkt werden kann. Mit Blick auf die mathematische Beweisführung entwickelt Melanie Platz zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine tabletgestützte Lernumgebung, deren aktuellen Projektstand sie in ihrem Beitrag anhand von Einzelfallbeschreibungen darlegt. Einen weiteren Projektzwischenstand gibt es von Janet Winzen zu einer Appentwicklung für die kombinatorische Anzahlbestimmung, bei welcher der Fokus auf den Entwicklungsprozess und die damit verbundenen Herausforderungen gelegt wird. Mit Blick auf die Förderung stochastischer Kompetenzen in der Primarstufe diskutiert Daniel Frischemeier die Möglichkeiten des Programms TinkerPlots zur Datenanalyse.

Neben diesen Ansätzen, bei denen Medien als Hilfsmittel für die Aufgabenbearbeitung eingesetzt werden, finden sich im Sammelband noch weitere Beispiele für den Einsatz digitaler Medien im Mathematikunterricht der Primarstufe. Christof Schreiber und Eileen Baschek stellen die Methode des PrimarWebQuests vor und beschreiben dessen Einsatz exemplarisch im bilingualen Mathematikunterricht einer vierten Klasse. Ausgehend von dem aktuellen Stand seines Dissertationsprojekts diskutiert Andreas Leinigen, wie Kinder mathematische Sachverhalte mithilfe selbst erstellter Lehrfilme erklären können. Franziska Peters und Christof Schreiber fokussieren demgegenüber stärker die Ausbildung von Lehrpersonen und beschreiben eine Kooperation zwischen Universität und Rundfunk, bei der Studierende mathematische Inhalte für Grundschülerinnen und -schüler auditiv aufbereiten.

Auch für das Fach Deutsch wird der unterrichtliche Einsatz digitaler Medien unter heterogenen Perspektiven dargestellt. Von Anne Frenzke-Shim wird der Frage nachgegangen, wie in kollaborativen Lernsettings mit digitalen Endgeräten die Begleitinteraktion unter den Schülerinnen und Schülern gefördert werden kann. Eva Pertzel nimmt Bezug auf die Strategie der Kultusministerkonferenz (2017) zur «Bildung in der digitalen Welt» und widmet sich der Frage, wie Suchmaschinen im Deutschunterricht der Grundschule sinnvoll eingesetzt werden können. Im Beitrag von Eva-Maria Kirschhock und Günter Renner steht der Einsatz von Apps beim Schriftspracherwerb im Fokus und Nicola König stellt eine digitale Gedichtwerkstatt vor.

Für den Sachunterricht finden sich in dem Sammelband insgesamt drei Beiträge. Unter einer konstruktivistischen lehr- und lerntheoretischen Perspektive legt Arne Bewersdorff dar, wie Experimentierplakate, die mit «digitalen Funktionen» erweitert wurden, Interaktions- und Kooperationsmöglichkeiten eröffnen. Elke Haas und Alexander Pusch fassen die Ergebnisse einer Studie zum Einsatz audiodigitaler Stifte im Sachunterricht zusammen und Heike Hagelgans und Kristina Binder stellen eine Studie zur additiven und subtraktiven Farbmischung vor.

Weitere Beiträge im Sammelband thematisieren nicht direkt die grundschulische Bildung. Sonja Brunsmeier u. a. stellen eine digitale Kooperation zwischen einer US-amerikanischen und deutschen Universität in einem Englischseminar vor. Alexander Küpper u. a. diskutieren ein Design-Based Research-Projekt zu mediengestützten Hilfesystemen im inklusiven Physikunterricht der fünften und sechsten Klasse. Die Veränderung der schulischen Kunstrezeption aufgrund des Einflusses digitaler Medien ist Gegenstand von Annika Waffners Beitrag. Von Christian Hulsch und Björn Egbert werden die unter dem Schlagwort «Industrie 4.0» zusammengefassten wirtschaftlichen Veränderungen und deren antizipierte Bedeutung für die technische und informatische (Aus-)Bildung von Schülerinnen und Schülern dargelegt.

Wie anhand der vorstellten Beiträge ersichtlich wird, stellt der Sammelband aus fachlicher Perspektive eine grosse Bandbreite an Möglichkeiten vor, wie digitale Medien im (Grund-)Schulunterricht eingesetzt werden können. Die Heterogenität der Beiträge verweist auf die gegenwärtig dynamische Entwicklung dieser Thematik. Trotz der inhaltlichen Breite ist es aber wichtig zu berücksichtigen, dass der Band eine klare Schwerpunktsetzung vornimmt, die Günter Krauthausen in seinem Beitrag mit dem Begriff «Primat der Didaktik» umreisst. Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht der fachbezogene Unterrichtseinsatz digitaler Medien. Deutlich unterrepräsentiert ist jedoch eine reflektierte und systematische Auseinandersetzung mit Fragestellungen im Kontext der Medienkompetenzförderung. Die Beiträge verweisen höchstens vereinzelt auf diesen Themenkomplex. Allerdings ist dieser Umstand kein Problem des Sammelbandes. Bereits der Titelbestandteil «Digitales Lernen» deutet eine entsprechende Akzentuierung an und eine solche Schwerpunktsetzung ist im gegenwärtigen, umfangreichen und heterogenen Diskurs zu diesem Themengebiet sinnvoll. Der Sammelband liefert somit wichtige Bausteine für ein medienbezogenes Arbeiten in der Grundschule. Klar sein muss hierbei, dass für ein medienpädagogisches Arbeiten in der Grundschule und die damit verknüpfte wissenschaftliche Forschung weitere Bausteine und insbesondere ein strukturierender Bauplan notwendig sind. Für exemplarische, weitere Aspekte des Themengebietes sei an dieser Stelle ergänzend auf Publikationen aus Forschungsprojekten mit einer tendenziell stärker medienpädagogischen Schwerpunktsetzung im Kontext dieser Altersgruppe verwiesen (u.a. Junge und Niesyto 2019; Thumel, Kammerl, und Irion 2020).

Insgesamt liefert der Sammelband aktuelle, wichtige und praxisnahe Impulse zu einem fachbezogenen, unterrichtlichen Einsatz digitaler Medien in der (Grund-)Schule. Gerade Praktikerinnen und Praktiker können hieraus Anregungen für die eigene pädagogische Tätigkeit mitnehmen. Aber auch für Forschende, die sich mit den benannten Themengebieten beschäftigen, enthält der Sammelband zielführende und nützliche Anknüpfungspunkte.

[1] Im Sammelband sind die Beiträge nicht fachspezifisch gegliedert. Für die Rezension wurde dieses Vorgehen gewählt, um die vielfältigen Beiträge übersichtlich darstellen zu können.

Literatur

Brandt, Birgit, Leena Bröll, und Henriette Dausend, Hrsg. 2020. Digitales Lernen in der Grundschule II. Aktuelle Trends in Forschung und Praxis. Münster ; New York: Waxmann. http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-205033.

Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). Hrsg. 2020. «Medienbildung – Der Schlüssel für eine chancengerechte Zukunft für alle!» https://www.gmk-net.de/wp-content/uploads/2020/07/2020-07-03_Stellungnahme_GMK_Medienbildung-als-Schluuessel.pdf.

Grundschulverband (GSV). 2018. «Digitale Mündigkeit beginnt in der Grundschule! Stellungnahme des Grundschulverbands zum ‚DigitalPakt Schule‘ und zum KMK-Beschluss ‚Bildung in der digitalen Welt‘. https://grundschulverband.de/wp-content/uploads/2018/08/stellungnahme-gsv-digitalpakt-schule.pdf.

Junge, Thorsten, und Horst Niesyto. 2019. Digitale Medien in der Grundschullehrerbildung: Erfahrungen aus dem Projekt dileg-SL. München: kopaed. https://www.ph-ludwigsburg.de/20999+M523534cb6c1.html

Kammerl, Rudolf, Andreas Dertinger, Melanie Stephan, und Mareike Thumel. 2020. «Digitale Kompetenzen und Digitale Bildung als Referenzpunkte für Kindheitskonstruktionen im Mediatisierungsprozess». In Digitale Bildung im Grundschulalter: Grundsatzfragen zum Primat des Pädagogischen, herausgegeben von Mareike Thumel, Rudolf Kammerl, und Thomas Irion, 21–48. München: kopaed.

Kultusministerkonferenz (KMK). 2017. «Strategie der Kultusministerkonferenz ‚Bildung in der digitalen Welt‘». https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/Digitalstrategie_KMK_Weiterbildung.pdf.

Thumel, Mareike, Rudolf Kammerl, und Thomas Irion. 2020. Digitale Bildung im Grundschulalter: Grundsatzfragen zum Primat des Pädagogischen. München: kopaed.