Laudatio zu Caroline Grabensteiners Dissertationsschrift «Medienbildung im Medienhandeln. Rekonstruktion von Prozessen relationaler Medienbildung im Medienhandeln am Beispiel von Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen»

Schlagworte

Dissertationspreis
Laudatio
Medienbildung
Medienhandeln
Instant-Messaging

Zitationsvorschlag

Bachmair, Ben, und Uwe Sander. 2023. „Laudatio Zu Caroline Grabensteiners Dissertationsschrift «Medienbildung Im Medienhandeln. Rekonstruktion Von Prozessen Relationaler Medienbildung Im Medienhandeln Am Beispiel Von Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen» : Dissertationspreis 2023 Der Sektion Medienpädagogik Der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (November). https://doi.org/10.21240/mpaed/99/2023.11.13.X.

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Copyright (c) 2023 Ben Bachmair, Uwe Sander

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Abstract

Laudatio zu

Grabensteiner, Caroline. 2023. Medienbildung im Medienhandeln. Rekonstruktionen am Beispiel von Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen. Wiesbaden: Springer Nature.

https://doi.org/10.21240/mpaed/99/2023.11.13.X

Dissertationspreis 2023 der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

Die Sektion Medienpädagogik der DGfE vergibt seit 2011 in einem zweijährlichen Rhythmus einen Promotionspreis. Mit dem Preis wird jeweils eine herausragende Dissertation ausgezeichnet, die in Deutschland, Österreich oder der Schweiz erstellt wurde, von hohem wissenschaftlichem Interesse ist, über ein hohes Mass an Originalität verfügt und einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Theorie und/oder Praxis der Medienpädagogik leistet. Die eingereichten Arbeiten sollen selbstverständlich einen deutlichen medienpädagogischen Schwerpunkt aufweisen. Für den diesjährigen Dissertationspreis wurden vier Vorschläge eingereicht. Da wir als Juroren von allen vier Einreichungen überzeugt waren, nennen wir zunächst die Nominierten an dieser Stelle in alphabetischer Reihenfolge:

  • Dr. Lukas Dehmel: «Medienpädagogische Professionalisierung in der beruflichen Weiterbildung – eine Studie aus Perspektive der biografischen Medienforschung» (Erstgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Dorothee M. Meister // Zweitgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Bianca Burgfeld-Meise)
  • Dr. Andreas Dertinger: «Unterrichtliches Medienhandeln von Lehrpersonen der Sekundarstufe zwischen normativen Erwartungen und habitueller Handlungspraxis. Eine rekonstruktive Studie» (Erstgutachter: Prof. Dr. Rudolf Kamerl // Zweitgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Svenja Bedenlier)
  • Dr.‘in Viktoria Flasche: «Jugendliche Selbstentwürfe an der Social-Media-Schnittstelle. Ästhetische Artikulationen Jugendlicher auf und mit Social-Media-Plattformen zwischen 2012 und 2018» (Erstgutachter: Prof. Dr. Benjamin Jörissen // Zweitgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Ulrike Mietzner)
  • Dr.‘in Caroline Grabensteiner: «Medienbildung im Medienhandeln. Rekonstruktion von Prozessen relationaler Medienbildung im Medienhandeln am Beispiel von Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen» (Erstgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Sandra Aßmann // Zweitgutachterin: Prof.‘in Dr.‘in Angela Tillmann)

Nach intensiver Lektüre haben wir uns als Juroren für die Dissertationsschrift von Frau Grabensteiner entschieden; sie hat den Dissertationspreis 2023 auf der diesjährigen Herbsttagung der Sektion Medienpädagogik an der FernUniversität Hagen verliehen bekommen, und zwar mit folgender Laudatio.

Laudatio

Da laufen Schüler und Schülerinnen mit ihren Handys im Klassenzimmer rum oder sitzen an ihren Bänken, nutzen währenddessen WhatsApp, um sich über ihr Lernen und über ihre Situation in der Schule zu verständigen. Üblicherweise, so meint die offizielle Schule, hat ein Handy nichts im Unterricht verloren, weil z.B. mit WhatsApp bestenfalls Alltagskommunikation läuft. Der Blick von Caroline Grabensteiner, - theoretisch und methodologisch bestens fundiert -, richtet sich dagegen auf die Kommunikation mit der Handy-App WhatsApp (ebd., 38) auf eine «text- und plattformbasierte Form der Online-Kommunikation, die es den Teilnehmer*innen ermöglicht, miteinander in Austausch zu treten» (ebd., 38). Der Blick von Grabensteiner konzentriert sich dabei sowohl auf den Alltag der Schüler:innen, als auch auf deren «sozialen Austausch und gemeinsame Pläne» (ebd., 44), sowie auf deren «Lernaktivitäten und Kollaboration» (ebd., 50). Den pädagogischen Leitgedanken dafür liefert «Medienbildung als Herstellung von Bildungsverhältnissen» (ebd., 87). Damit verlässt die Medienpädagogik den einstens mit dem Ziel der Medienkompetenz eingeschlagenen Weg einer Produktorientierung von Medienbildung und versucht stattdessen Kinder und Jugendliche zu unterstützen, damit sie ihre Bildungsverhältnisse z.B. mit Handy, WhatsApp und Internet einrichten. Die kommunikativen Aktivitäten stehen dabei im Vordergrund, das heisst: «Die Herstellung von Bildungsverhältnissen findet im Rahmen der handelnden Auseinandersetzung statt.» (ebd., 87). Konkret beschreibt das die Dissertation mit dem Bild der «Chatgruppen als Gefäße für ‚Kollaboration‘» (ebd., 234). Theoretisch gefasst geht es bei Gefäss um «Kontexte» als «raum-zeitliche Bedingung (…) relationaler Medienbildung» (ebd., 388). Bei der «Konstitution von Kontexten in der Bildungsrelation» unterscheidet die Dissertation «drei Formen von Relationen»: die materiale Relation, die soziale Relation und die biografische Relation“ (ebd., 393). Dabei richtet sich die «erste Hypothese» der Arbeit auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Einladungen in Instant-Messaging-Gruppen und sozialer Anerkennung. Konkret ging es darum, wer wen zu einer WhatsApp-Gruppe einlud, also um die «Akteurskonstellation» bei «Brückenfunktionen» für die Instant-Messaging-Gruppe.Der Leitgedanke der Bildungsverhältnisse führt methodologisch zur «sozialen Netzwerkanalyse» (ebd.,192) als Analyse von «Kommunikativen Figurationen» (ebd., 124) mit der praktischen medienpädagogischen Ausrichtung auf Kontexte von Bildung wie Instant-Messaging mit der Handy-App WhatsApp in Schule und Alltag (ebd., 270). In ihrem methodologischen Themenbereich nutzt Grabensteiner den Begriff der Figuration von Norbert Elias und nicht den ebenfalls denkbaren und zielführenden Begriff des Dispositivs. Grabensteiner schreibt dazu: «Der Figurationen-Begriff wird durch Hepp und Hasebrink von Elias übernommen und als ‚Verflechtungsmodell‘ […] interdependenter Handlungen» (Elias 1993, 141) charakterisiert. Interdependenz wird hier als wechselseitiger Verweisungszusammenhang aller Elemente innerhalb der Figuration beschrieben, bezieht sich aber vor allem auf Handlungen und Interaktionen der Elemente «soziale[r] Gebilde» (Hepp und Hasebrink 2014, 351). Dabei werden unterschiedliche Dimensionen darstellbar. Wie Hepp und Hasebrink zusammenfassen, ist es mithilfe des Figurationen-Modells möglich, die «Bedeutungsdimension von Kommunikationsprozessen als auch deren historischen Wandel» (Hepp und Hasebrink 2014, 352) in den Blick zu nehmen.» Auf diesem argumentativen Weg gelangt die Arbeit dann zur «Grounded Theory als Methodologie und Methode» (ebd., 152). Damit «ruht», so Grabensteiner, die «theoretische Sensibilisierung (…) auf zwei Säulen“, einmal auf einer «Verortung in der systematisch-theoretischen Auseinandersetzung mit Medienbildung und Handeln» und zudem auf einer «gegenstandsbezogene[r] Sensibilisierung in theoretischen Modellen zur rekonstruktiven Untersuchung des Medienhandelns, speziell der Mobilkommunikation Jugendlicher» (ebd., 146). Als ein «Schlüsselmoment der Herstellung von Bildungsverhältnissen» (ebd., 391) stellte sich heraus, dass «Helfen als Geben und Nehmen (…) Zweck von schulbezogenen Instant-Messaging-Gruppen» ist. Weitere Ergebnisse (ebd., 465) sind, dass in allen drei untersuchten Schulklassen «eigene Umgangsformen mit Chatgruppen, Einzelchats» entstanden, es jedoch auch «Chatgruppen des Typs ‚Klassenchat‘» gab. Dabei zeigte sich, dass «Instant-Messaging-Gruppen zur Kollaboration und zum gemeinsamen Lernen verwendet werden. Schulthemen und die inhaltliche Bearbeitung von Hausaufgaben sind dann zentrale thematische Orientierungen.» (ebd., 465). Die soziale Vernetzung mit Freunden, auch innerhalb der Schulklasse liess sich zudem als soziale Teilhabe herausarbeiten.

Insgesamt hat Frau Grabensteiner eine ausgezeichnete Dissertationsschrift verfasst, die überzeugend argumentiert und sowohl anspruchsvoll als auch lesenswert aufgebaut ist. Sie erfüllt eindrucksvoll die Kriterien der Sektion Medienpädagogik für ihren Dissertationspreis, nämlich ein «hohes Maß an Originalität (…), einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung von Theorie (und der) Praxis der Medienpädagogik» sowie deren «gesellschaftliche Relevanz».

Als Laudatoren beglückwünschen wir Frau Grabensteiner zu dem Dissertationspreis 2023, möchten aber auch für die drei anderen Einreichungen Hochachtung und Respekt ausdrücken.

Literatur

Dehmel, Lukas. 2023. Medienpädagogische Professionalisierung in der beruflichen Weiterbildung. Eine Studie aus Perspektive der biografischen Medienforschung. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43069-6.

Dertinger, Andreas. 2023. Zwischen normativen Erwartungen und habitueller Handlungspraxis. Eine rekonstruktive Studie zum unterrichtlichen Medienhandeln von Lehrpersonen. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40642-4.

Elias, Norbert. 1993. Was ist Soziologie? (7. Auflage). Weinheim und München: Juventa.

Flasche, Viktoria. 2022. Jugendliche Selbstentwürfe an der Social-Media-Schnittstelle. Ästhetische Artikulationen Jugendlicher auf und mit Social-Media-Plattformen zwischen 2012 und 2018. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-opus4-186739.

Grabensteiner, Caroline. 2023. Medienbildung im Medienhandeln. Rekonstruktionen am Beispiel von Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40699-8.

Hepp, Andreas, und Uwe Hasebrink. 2014. Kommunikative Figurationen – ein Ansatz zur Analyse der Transformation mediatisierter Gesellschaften und Kulturen. In Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis. Alte und neue Grenzvermessungen nach 50 Jahren DGPuK, herausgegeben von Nikolaus Jackob, Oliver Quiring, und Birgit Stark, 343–360. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.