Lehrbücher und Hefte zum Lehrplan für Digitale Grundbildung von der Playmit GmbH

Schlagworte

Medienpädagogik
Digitale Grundbildung
Rezension
Lehrbuch

Zitationsvorschlag

Weich, Andreas, Adrianna Hlukhovych, und Nicola Przybylka. 2022. „Lehrbücher Und Hefte Zum Lehrplan für Digitale Grundbildung Von Der Playmit GmbH“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (Oktober). https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2022.10.19.X.

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Copyright (c) 2022 Andreas Weich, Adrianna Hlukhovych, Nicola Przybylka

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Abstract

Rezension zu

Playmit. 2020. Digitale Grundbildung (Lehrbuch). Wien.

https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2022.10.19.X

Lehrbücher und Hefte zum Lehrplan für Digitale Grundbildung von der Playmit GmbH

Die Playmit GmbH hat in Kooperation mit Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft und Bildung im Jahr 2020 ein Lehr-Lernpaket in Abstimmung mit dem österreichischen Lehrplan für «Digitale Grundbildung» für die Sekundarstufe I und II erstellt. Das Paket besteht aus insgesamt fünf Teilen. Im Lehrbuch für SchülerInnen finden sich die theoretischen Grundlagen sowie Anregungen für Aufgaben zum Kompetenzerwerb (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 11). Es bietet Erläuterungen und Anwendungsbeispiele zu den Themengebieten «Digitalisierung laut Lehrplan», «Digitalisierung im Klassenzimmer», «Digitalisierung im Beruf» und «Digitalisierung in der Praxis». Der Bereich «Digitalisierung laut Lehrplan» widmet sich wiederum den Themen «Gesellschaftliche Aspekte von Medienwandel und Digitalisierung», «Informations-, Daten- und Medienkompetenz», «Betriebssysteme und Standard-Anwendungen», «Mediengestaltung», «Digitale Kommunikation und Social Media», «Sicherheit», «Technische Problemlösung» und «Computational Thinking». Unter «Digitalisierung im Klassenzimmer» werden die Inhalte «Die digitale Klassentafel» oder «Big Data in der Schule» behandelt. Der Abschnitt «Digitalisierung im Beruf» thematisiert unter anderem «Jobsuche im digitalen Zeitalter» und «Digitalisierung im Beruf» bzw. Aspekte der Digitalisierung beispielsweise im Einzelhandel, Bankwesen oder in der Landwirtschaft. Im Abschnitt «Digitalisierung in der Praxis» werden schliesslich zahlreiche exemplarische Themen aufgegriffen, die der Lebenswelt der Schüler:innen entsprechen und – genauso wie in den Abschnitten «Digitalisierung im Klassenzimmer» und «Digitalisierung im Beruf» mittels entsprechender Markierungen – den Inhalten und Kompetenzen des Lehrplans zugeordnet sind; es sind Themen wie «Digitale Globalisierung», «Datenschutz», «Fake News», «Online-Diktaturen», «Augmented Reality», «Cybermobbing», «Digital Storytelling», «Computerspiele», «E-Sport», «Internet of Things», «Textverarbeitung» oder «Webmeetings». Am Ende jedes Kapitels können von den Schüler:innen Multiple-Choice Fragen beantwortet und ein Glossar zu vorgegebenen Begriffen erstellt werden. Das Heft für Lehrende ist nach den gleichen Themen strukturiert wie das Lehrbuch für SchülerInnen und bietet der Lehrkraft Arbeitsanregungen sowie didaktische Tipps für den Unterricht. Das Arbeitsheft mit Glossar-Arbeitsblättern und den dazu passenden Quizfragen fasst die in Kapitel separierten Quizfragen und Glossar-Tabellen aus dem Lehrbuch als separates Arbeitsheft zusammen. Glossarbegriffe können dabei online durch das Einscannen des QR-Codes geübt und anschliessend mithilfe von Arbeitsblättern vertieft werden. Das Lösungsheft zu den Arbeitsblättern sowie eine Ergänzung zum Lehrplan sind ebenfalls Teil des Playmit-Pakets. Letzteres bietet auf 19 Seiten übergeordnete inhaltliche und didaktische Anregungen sowie technisch-organisatorische Hilfestellungen und Erläuterungen für die Lehrenden. An das Lernpaket ist die Lernplattform Playmit.com mit kostenlosen Quizfragen angebunden. Zu den einzelnen Online-Quiz gelangt man über die Links bzw. QR-Codes in den Heften.

Das Playmit-Lehr-Lernpaket wurde erstellt in inhaltlichem Austausch mit dem österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wirtschaft und Forschung sowie in Zusammenarbeit mit grossen Unternehmen bzw. Arbeitgeber:innen hauptsächlich aus der Wirtschaft. Die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems (KPH) begleitete die Konzeption der Playmit-Urkunde zur «Digitalen Grundbildung» pädagogisch-didaktisch; auch ist sie wesentlich an der dauerhaften Evaluierung des Lehr-Lernpakets beteiligt.

Die Autor:innen und heben positiv hervor, dass die Themen des Playmit-Pakets über den Schullehrplan hinausgehen (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). Quizfragen auf der Playmit-Webplattform werden als besonderer Spass- und Motivationsfaktor beworben, der eine spielerische Aneignung des Stoffes ermöglicht. Das eigentliche Ziel des Lernpakets, wie aller Playmit-Lernmaterialien zu anderen Themen und Fächern, sei allerdings der Erwerb der Playmit-Urkunden bzw. der Digital 4.0-Urkunde im Bereich der Digitalen Grundbildung für Sekundarstufen I und II (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). Letztere solle Schüler:innen auf die Herausforderungen der «digitalen Welt» vorbereiten und den Berufseinstieg erleichtern (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). Lehrpersonen haben zudem die Möglichkeit, die Urkunde in die Benotung miteinzubeziehen (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 10). Den Arbeitgeber:innen sollte die Urkunde dabei helfen, geeignete, engagierte Bewerber:innen zu erkennen (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). In diesem Sinne werden «Bildung für die Praxis», die Abstimmung der Bildungsinhalte mit Arbeitgeber:innen und die Vernetzung von Schule und Wirtschaft als wesentliche Merkmale des Erfolgskonzeptes von Playmit betont (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). Schulen können mit Playmit-Urkunden den Premiumstatus erwerben und neben verschiedenen Vorteilen auch eine Auszeichnung der Initiative «eEducation Austria» des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (www.eeducation.at) erhalten. Die folgende Rezension befasst sich aus einer medien(kultur)wissenschaftlichen Perspektive mit dem Playmit-Paket.

Bereits der erste Blick auf das Inhaltverzeichnis des Lehrbuchs für SchülerInnen (und des Heftes für Lehrende) verrät eine gute und ausgewogene Zusammenstellung von Themen(bereichen), die wichtige Punkte im Hinblick auf digitale Medien betreffen – einschliesslich gesellschaftlicher Transformationen –, was zu honorieren ist. Theoretische Ausführungen zu den für den Kompetenzerwerb relevanten Aspekten werden dabei um die Themen aus der (schulischen) Alltagspraxis erweitert. Zu würdigen ist darüber hinaus der interdisziplinäre Zugang zu und das Verständnis der digitalen Grundbildung als Querschnittsaufgabe, ferner die didaktische Empfehlung, digitale und analoge Medien sinnvoll zu verbinden (Heft für Lehrende, S. 6f.). Ein erfreulicher Ansatz ist auch der einleitende Hinweis im Heft für Lehrende, auf die Interessen und das Vorwissen der Schüler:innen anerkennend einzugehen (S. 6f.). Ständigen Veränderungen und Entwicklungen, die digitale Medien betreffen, wird im Playmit-Paket zu Recht insofern Rechnung getragen, als Lehrende über fehlende Themen der digitalen Grundbildung und die dazu gehörigen Arbeitsanregungen in einem monatlichen Info-Letter informiert werden und Themenvorschläge selbst einreichen können (S. 9).

Schaut man sich die Grundannahmen der Playmit-Materialien an, sind somit einige zunächst durchaus anschlussfähig an medien(kultur)wissenschaftliche und medienpädagogische Diskurse. So heisst es in den Ergänzungen zum Lehrplan: «Alle unsere Lebensbereiche sind mittlerweile von der Digitalisierung betroffen», und «[d]ie (fast ständige) Verbindung mit dem Internet ist speziell für die junge Generation nichts mehr Besonderes, egal ob es Geräte sind, die online gehen oder digitale Medien, die bewusst verwendet werden» (S. 4). Im Lehrbuch für SchülerInnen wird ähnlich formuliert: «Unsere Gesellschaft ist längst in der digitalen Welt angekommen. Alle Lebensbereiche, ob Bildung (Schule 4.0), Gesellschaft oder Politik, werden von ihr stark mitbestimmt» (S. 10). Die Selbstverständlichkeit der Nutzung digitaler Technologien schliesst dabei an Diskurse zur Postdigitalität oder digitalen Kulturen an (Cramer 2014; Stalder 2016; Jörissen 2017). Und auch ein Anspruch zur Reflexion wird, zumindest vordergründig, formuliert: «Es ist deshalb wichtig, dass sich jeder Einzelne der Wirkung der Medien auf das eigene Leben bewusst wird und hinterfragt, inwiefern sich der eigene Mediengebrauch von dem anderer Personen(gruppen) unterscheidet (z.B. je nach Alter, Kultur, Wohnort oder Geschlecht). Dazu gehört auch, dass jeder sich überlegt, was diese zunehmende Digitalisierung für den eigenen Alltag bedeutet (z.B. verwendet man überhaupt noch einen herkömmlichen Wecker oder ersetzt das Smartphone schon längst diese Funktion?).» (Ergänzungen zum Lehrplan, S. 4) Doch gleichzeitig machen diese Zitate verschiedene Probleme deutlich, die sich aus medienwissenschaftlicher Perspektive ergeben: So bleibt unklar, was mit «Digitalisierung» genau gemeint ist. Geht es um die Vernetzung über das Internet, das Ersetzen eines Weckers durch die Wecker-Funktion eines Smartphones oder, wie es später im Lehrbuch für SchülerInnen heisst, um die Ersetzung eines analogen Lexikons durch die Suchfunktion auf Google (S. 12)? Eine «Wirkung der Medien» als Ausgangspunkt zu nehmen, ist zudem potenziell wie tendenziell mit technikdeterministischen Grundannahmen verbunden. Demgegenüber wäre aus medienwissenschaftlicher Sicht von komplexen Wechselwirkungen zwischen Praktiken, Diskursen, Inhalten, Technologien und anderen Materialitäten sowie Subjekten auszugehen (Weich 2020). Denn erst dann lässt sich sinnvoll darüber sprechen, welche Relevanz die Ersetzung eines Weckers durch die Wecker-Funktion eines Smartphones überhaupt hat: Geht es darum, dass das Smartphone nun am Bett liegt und dadurch bestimmte Medienpraktiken in das Schlafzimmer Einzug halten? Soll die zusätzliche Strahlung problematisiert werden?

«Da es Mobiltelefone und Smartphones noch nicht so lange gibt, ist die Wirkung der Strahlung noch nicht restlos erforscht. Bis endgültige Ergebnisse vorliegen, ist es besser, etwas vorsichtiger zu sein und beispielsweise das Smartphone aus dem Schlafzimmer zu verbannen.» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 13)

Geht es um ‹blaues Licht› vor dem Schlafen oder um die Tatsache, dass man sich durch festgelegte Musikstücke wecken lassen kann?

In Bezug auf die angenommenen «Wirkungen» digitaler Medien kommt gleichsam eine bewahrpädagogische Perspektive zum Vorschein, die das gesamte Playmit-Material durchzieht. Diese schlägt sich auch explizit nieder durch Verweise auf «Digital-Detox» und derartige Sätze wie: «Ein weiteres Problem, das digitale Medien mit sich bringen, ist das Suchtpotential, das sie bieten» (Ergänzungen zum Lehrplan, S. 4). Das Lehrbuch für SchülerInnen empfiehlt demzufolge, «auch einmal die digitalen Medien bewusst wegzulassen» (S. 12), wodurch die einleitende Position einer lebensweltlichen Durchdrungenheit durch digitale Medien ad absurdum geführt wird. Eine grundlegende Medienreflexion, die auf die Ebene der unhintergehbaren Medialität jedweden Wissens und auf die medialen Voraussetzungen der Zugänge zur Welt und zu sich selbst abzielt, findet sich nicht. In dem Themenabschnitt «Informations-, Daten- und Medienkompetenz» geht es dementsprechend sowohl in den Ergänzungen zum Lehrplan als auch in dem Lehrbuch für SchülerInnen vorrangig darum, Quellenkritik zu betreiben, Fake News zu erkennen und Filterblasen und Echokammern zu identifizieren (S. 6f.). Letztlich scheint – wie auch in den DigComp-Modellen (European Digital Competence Framework), deren Begrifflichkeiten sich in vielen Überschriften des Playmit-Lehrmaterials wieder finden (zur kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle von Reflexion in den DigComp-Modellen siehe Weich et al. 2020) – die Zielvorstellung zu sein, die «digitalen Medien» möglichst gut zu nutzen bzw. im Sinne eines Werkzeugs zu beherrschen und dabei die vordergründigen «Gefahren» zu vermeiden. Mit einer solchen Grundhaltung gegenüber digitalen Medien und repetitiven Hinweisen zu negativen Folgen eines übermässigen Konsums werden Allgemeinplätze bedient – eine weiterführende, medienreflexive Auseinandersetzung bleibt, wie im Folgenden an ausgewählten Beispielen dargelegt wird, jedoch aus. Die oben erwähnte werkzeugorientierte Haltung gegenüber digitalen Medien ist beispielsweise für den Umgang mit Daten und Datenbanken prägend. Ihre Rolle als Machttechnologien, Inklusions- oder Exklusionsinstanzen, ihr Verhältnis zu unterschiedlichen kulturellen, ökonomischen oder politischen Handlungsfeldern sowie letztendlich ihre hermeneutische Beschaffenheit werden dagegen nicht behandelt, auch wenn auf Datenschutz, Datendiebstahl und die Tücken der Suchmaschinen hingewiesen wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem Thema «Internet of Things», das zu Recht als «Vernetzung von Computern, Objekten, Maschinen und sogar Menschen» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 120) umschrieben wird. Die Beteiligung des Internets der Dinge an unserer Erkenntnis- und Seinsweise, neuartige Verbindung von menschlicher Sinnlichkeit und Technik sowie die Notwendigkeit der Reflexion einer Neukonfiguration des Menschen als Bestandteil der digital vernetzten Welt werden jedoch nicht thematisiert – genauso wie die Reflexion und Revision des menschlichen Verständnisses von Kognition in Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz.

Während gesundheitliche Risiken durch ein wie auch immer geartetes «zu viel» der Nutzung digitaler Medien (Smartphone, Computer) an mehreren Stellen betont werden, bewerten die Autorinnen und Autoren von Playmit das Tracken biometrischer Daten durch Smart Watches als durchgängig positiv für die eigene Gesundheit und Fitness (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 120; Ergänzungen zum Lehrplan, S. 4). Fragen zu den darin eingeschriebenen Körperbildern und -modellen, dem Einfluss auf die Körper- und Selbstwahrnehmung sowie eine mögliche Fokusverschiebung von Sport und Bewegung auf reine Leistungssteigerung werden nicht gestellt (Rode und Stern 2019; Klinge und Przybylka 2021). Ein Querverweis von den Smart Watches zum Themengebiet «der gläserne Mensch» (S. 94) hätte sich in diesem Zusammenhang angeboten.

Das «Computational Thinking» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 40) wird ausschliesslich als zu erlangende Nutzungskompetenz in den Blick genommen, ohne darüber zu reflektieren, dass eine solche Auffassung des Computational Thinking eine sehr spezifische und mit bestimmten Medientechnologien und -praktiken verbundene, tendenziell solutionistische Sicht auf die Welt und sich selbst einhergeht, die man auch kritisch hinterfragen könnte und sollte. Aus einer solutionistischen Perspektive wird unter anderem das Thema der Algorithmen behandelt. Die Tatsache, dass Algorithmen Ungerechtigkeiten produzieren und konstituieren, kommt dagegen nicht zur Sprache. Diese Ungerechtigkeiten betreffen z.B. geschlechtliche Identitäten – die sich im Übrigen auf «Mädchen und Burschen» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 46) nicht reduzieren lassen – und allerlei körperliche Merkmale, die auf der Ebene der «Botschaft» in den Playmit-Heften zwar erwähnt, auf der Ebene des «Mediums» aber nicht reflektiert werden. Eine Ausnahme in Bezug auf die letztere Ebene und auf den Körper stellt die Thematisierung der Barrierefreiheit im Sinne der Beeinträchtigung und eines engeren Verständnisses der Inklusion dar (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 37; Heft für Lehrende, S. 23). Andere Diversitätsmerkmale, wie beispielsweise sozialer Status, ethnische Zugehörigkeit bzw. Herkunft, Sprache wie die intersektionale Perspektive und die damit einhergehende Problematik mehrerer Ebenen der digitalen Spaltung, werden nicht oder nur ansatzweise auf der inhaltlichen Ebene thematisiert. Das erweckt den Eindruck, dass es sich bei Rezipient:innen des Playmit-Pakets um Personen einer homogenen Gesellschaft handelt, die den aktuellen soziokulturellen Transformationen und globalen Migrationsprozessen zu entkommen vermag. Dieser Mangel berührt die Problematik der virtuellen bzw. Online-Identitäten – samt ihres Konstruktionscharakters, «cybertypes» und «identity tourism» (Nakamura 2013) –, deren mögliche Anonymität und Wechselwirkung mit Offline-Identitäten, die in Playmit-Heften nicht zur Sprache kommen, jedoch eine lohnende Ergänzung zur Thematisierung der digitalen Identität darstellen würden. Individuelle Identitäten hängen wiederum mit kollektiven Identitäten, kollektivem bzw. «konnektivem» Gedächtnis (Hoskins 2011), Erinnerungskulturen und Geschichtsschreibung zusammen, deren Reflexion für individuelles oder kollektives «Digital Storytelling» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 108f) – besonders in einer heterogenen Gesellschaft – konstitutiv ist. Das Pluralisierungspotenzial der «globital memory» (Reading 2009) geht einher mit ihrer Kurzlebigkeit. Insbesondere im globalen Kontext und in einer Migrationsgesellschaft wäre – z.B. in Verbindung mit «Digital Storytelling», ferner mit dem Themenpunkt «Digitale Globalisierung» – ein Hinweis auf «mediascapes» (Appadurai 1996) und digitale Diasporas mit ihren (digitalen) Ethno-Medien, die mit herkömmlichen medialen Angeboten und Gemeinschaften in Konkurrenz treten, aufschlussreich. Der Rekurs auf nicht westliche Perspektiven würde helfen, Stereotypisierungen bzw. einseitige «Othering»-Konstruktionen (Spivak 1985; Said 2009) – Stichworte: China als «Online-Diktatur» oder «[d]igitale Wirtschaftsdiktatur» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 100; S. 148) – zu verhindern. Stattdessen fokussiert beispielsweise das Kapitel «Digitale Globalisierung» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 79) die Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Arbeitsmarkt auf eine Weise, die die «Othering»-Praktiken beinahe notwendig macht.

Das mangelnde Diversitätsbewusstsein betrifft schliesslich die Berufe, ferner die Zielgruppen der Schülerschaft, die in Playmit-Heften adressiert werden und die sich hauptsächlich auf Wirtschaft, Industrie und Bankwesen beschränken; Bildungs-, Kultur- oder Kunstsektoren, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, kommen im Lehrbuch nicht zur Sprache. Obwohl eine praxis- und berufsbezogene Perspektive an sich ein zu würdigendes Vorhaben ist, sind derartige Reduktionen der digitalen Grundbildung, die sich an alle Schüler:innen richtet, bedenklich. Eine solche Selektivität sowie Fokussierung auf Industrie 4.0 («das Tor zur Zukunft», wie es im Lehrbuch für SchülerInnen heisst, S. 4) – einen ohnehin umstrittenen Begriff, der ferner in die Vorstellung von «Schule 4.0» mündet (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 10) – gehen über die medien(kultur)wissenschaftliche Perspektive, die in dieser Rezension im Fokus steht, hinaus und werfen die grundsätzliche Frage nach dem Bildungsideal auf, das im und durch das Playmit-Lehrkonzept aufgeworfen und angestrebt wird.

Bedauerlicherweise fehlen in den Playmit-Heften in den meisten Fällen Perspektiven, die aufzeigen, dass digitale Medien nicht nur Neues mit sich bringen, sondern auch Etabliertes reproduzieren, sowie in diesem Sinne in komplexe Konstellationen und Machtverhältnisse eingebunden sind. Eine der wenigen Ausnahmen stellen hierbei die – erneut bewahrpädagogisch motivierten – Traditionen der Manipulation durch Werbung und der Wirkung von Gewaltdarstellungen (Ergänzungen zum Lehrplan, S. 10) dar. Etwa bei den Themen «Fake News», «Hatespeech», «Datenschutz», «(Cyber)Mobbing», «(Computer)Spiele» oder «(Digital) Storytelling» entsteht dagegen der Eindruck, dass die mit diesen Phänomenen einhergehenden Probleme erst Folgen der Digitalisierung wären. Der Rekurs auf die Kontinuität von «analog» und «digital» und unter anderem auf Basismedien bzw. basale Kulturtechniken (und deren Konvergenz) hätte den Anschein verhindern können, dass Missverständnisse in der Deutung von Bildzeichen erst bei der Kommunikation durch Emojis entstehen oder dass Sucht- und Realitätsverlustprobleme allein auf Computerspiele, und nicht auf allerlei fiktionale Medien(formate), wie beispielsweise Literatur oder Film, zurückzuführen sind und in die Interdependenz der «realen» und «virtuellen» Welten hinauslaufen.

Ebenso wie ein Gegenüber von «analog» und «digital» findet sich die Gegenüberstellung von Mensch und Technik bzw. Medium. Unter dem Themenabschnitt «Moderne Kommunikation» und «Umgang mit dem Smartphone» wird das Digitale tendenziell als entfremdeter Zugang des Menschen zu sich und seiner Umwelt beschrieben und ein Verzicht der Nutzung digitaler Medien zu einer wie auch immer ausgestalteten Authentizität und Echtheit des Selbst- und Weltbezuges hochstilisiert: «Direkte Gespräche unter Freunden, im Wirtshaus, im Café oder einfach auf einer Parkbank wurden vielerorts abgelöst durch den Blick aufs Handydisplay mit der sehnsüchtigen Erwartung einer neuen Nachricht von geliebten Menschen, mit denen wir oft lieber schreiben statt zu reden.» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 70). Zur Übung von Medienkompetenz wird den Schüler:innen dementsprechend der Tipp gegeben, das «Mobiltelefon mal bewusst weg[zu]stecken» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 69), anstatt eine grundlegende Reflexion der mit dem Handy verbundenen, aber nicht ausschliesslich auf das Mobiltelefon zurückzuführenden Medienpraktiken anzustossen.

Die oben angesprochenen Unklarheiten und technikdeterministischen wie bewahrpädagogischen Grundannahmen setzen sich auf inhaltlicher Ebene an vielen Stellen fort. So werden in Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten suggestiv normative Setzungen vorgenommen, ohne dass sie differenziert argumentiert werden. Gleich neben der ersten Frage zu Navigationssystemen, ob man sich auf ein solches verlassen könne, wird in der Erläuterung bereits die Antwort formuliert, dass es besser sei, sich auf «die Technik» nicht zu verlassen (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 13). Gleichzeitig werden hier digitale und analoge Karten als verlässlichere Quelle veranschlagt, obwohl sie doch ebenfalls Techniken sind, die zum einen fehlerbehaftet sein können und zum anderen Grundlage für die Navigationssysteme sind. Eine mediengeschichtliche Perspektive hätte eine an manchen Stellen aufscheinende konfrontative oder defensive Haltung gegenüber den digitalen Medien (Stichworte: «sich der Technik bedienen, ohne von ihr beherrscht zu werden» oder «technologische Revolution», statt oder neben der «Evolution» und «Transformation» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 7)) mildern können.

Schaut man sich insbesondere das Lehrbuch für SchülerInnen an, fällt von Beginn an auf, dass sich die auf der inhaltlichen Ebene identifizierten Leerstellen auch auf die Ebene der Struktur auswirken: So werden die Medialitäten und medienkulturellen wie diskursiven Einschreibungen der eigenen Angebote nicht reflektiert. Da das Lernmaterial auf der Lern- und Quizplattform Playmit.com basiert, ist der enge Bezug zum Playmit-Quiz nachvollziehbar («Spielerisches Lernen und Wissensvermittlung in Verbindung mit Wettkampf sowie monatlichen Gewinnen und tollen Preisen»; Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4). Dennoch wäre es wünschenswert, das in dem hier vorliegenden Gamification-Konzept zugrundeliegende Lernverständnis und die damit verbundenen Praktiken und Subjektpositionierungen zu thematisieren. Selbstverständlich würden die Autor:innen damit das eigene Produkt offen kritisch reflektieren müssen, was einen inhärenten Interessenkonflikt darstellt, doch genau das müsste der (zugegebenermassen hohe) Anspruch an einen Beitrag zur «Grundbildung» zu digitalen Medien sein. Noch deutlicher wird dies im Hinblick auf Verflechtungen zwischen Bildung und Wirtschaft: Noch vor den Lerninhalten werden Schüler:innen mit Aussagen und Logos von Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft konfrontiert, und in dem Lehrbuch selbst werden Playmit-Produkte durchgängig positiv bewertet (S. 50f.), ohne dass diese selbstkritisch als werbliche Inhalte transparent gemacht würden.

Trotz aller Kritik sind mehrere Ansätze und Zugänge zum Thema «Digitale Grundbildung» in den Playmit-Materialien gutzuheissen. Zunächst ist es der Aspekt der Mediengestaltung, deren Kreativitätspotenzial, auch im Sinne eines positiv besetzen «Hacking» und der epistemischen Vielfalt, erweitert werden könnte. Beachtenswert sind die von den Autor:innen der Hefte angeschnittenen ethischen, moralischen und Nachhaltigkeitsaspekte, die allerdings an mehreren Stellen mit den wirtschaftlichen Zielsetzungen des Lehrmaterials zu konkurrieren haben. Der Ansatz «Bildung für die Praxis» (Lehrbuch für SchülerInnen, S. 4) wäre noch mehr zu loben, wenn die anvisierte Praxis nicht zu eng und einseitig aufgefasst wäre.

Dem Lehrbuch gelingt es, durch die positive Anerkennung von digitalen Spielen als Kulturgüter und die Thematisierung von E-Sport an die Lebenswelten der Schüler:innen anzuknüpfen (Lehrbuch für SchülerInnen, S.110ff.). Obwohl eine genauere Differenzierung zwischen Lernspielen und Serious Games wünschenswert wäre (Zimmermann und Falk 2020) und die Warnung vor gefährlichem Suchtverhalten auch hier an zentraler Stelle steht, wird dem Gaming und zugehörigen jugendkulturellen Trends wie dem Erstellen von Walkthroughs, Fan-Fictions und Let’s Plays ebenfalls Raum gegeben.

Die Tatsache, dass Lehrmaterialien zur «Digitalen Grundbildung» erarbeitet wurden und mehrere aktuelle und wichtige Themenaspekte aufgreifen, ist zweifelsohne begrüssenswert. Dennoch gibt es in den Playmit-Materialien aus medien(kultur)wissenschaftlicher Sicht Leer- und Problemstellen, die oben skizziert wurden. Die im Playmit-Paket anvisierte Medienkompetenz soll(te) über die reine Anwendungsebene hinausgehen und als medienkritische Haltung Schüler:innen dazu befähigen, in einer von digitalen Medien geprägten Welt selbstständig navigieren und neue Entwicklungen einordnen zu können. Leider bleibt der Inhalt der Playmit-Materialien hinter diesem, im Heft für Lehrende artikulierten, Anspruch zurück:

«Medienkompetenz bedeutet in unserer Gesellschaft also nicht nur das Anwenden digitaler Medien, sondern vor allem medienkritisch mit den Entwicklungen umzugehen. […] Um auf eine Zukunft vorbereitet zu sein, von der wir heute noch nicht wissen, wie sie tatsächlich aussehen wird und welche Chancen und Herausforderungen sie für die SchülerInnen von heute im Berufs- und Privatleben bieten wird, ist es notwendig, das Verständnis von Prozessen sowie das kritische Hinterfragen von Entwicklungen zu schulen.» (Heft für Lehrende, S. 5)

Literatur

Appadurai, Arjun. 1996. Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis: University of Minnesota Press.

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Hoskins, Andrew. 2011. "Media, Memory, Metaphor: Remembering and the Connective Turn". Parallax 17 (4): 19–31. https://doi.org/10.1080/13534645.2011.605573.

Jörissen, Benjamin. 2017. "Subjektivation und „ästhetische Freiheit“ in der post-digitalen Kultur". In Das starke Subjekt, herausgegeben von Tom Braun, Max Fuchs, und Gerd Taube, 187–200. München: kopaed.

Klinge, Antje, und Nicola Przybylka. 2021. "Digitalisierung in der Sportlehrer*innenbildung: alte Fragen neu gestellt. Zum Verhältnis von Fachlichkeit und Medien im Fach Sport". Zeitschrift für Studium und Lehre in der Sportwissenschaft 4 (3): 54–60. https://www.dshs-koeln.de/zsls/hefte/alle-hefte/digitalisierung-in-der-sportlehrerinnenbildung-alte-fragen-neu-gestellt/.

Nakamura, Lisa. 2013. Cybertypes. Race, Ethnicity, and Identity on the Internet. New York, London: Taylor and Francis.

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Said, Edward W. 2009. Orientalismus. Frankfurt am Main: S. Fischer.

Spivak, Gayatri Chakravorty. 1985."The Rani of Sirmur: An Essay in Reading the Archives". History and Theory 24 (3): 247–272.

Weich, Andreas. 2020. "Digitale Medien und Methoden: Andreas Weich über die Medienkonstellationsanalyse". Open-Media-Studies-Blog, 16.06.2020. https://www.zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/digitale-medien-und-methoden-weich

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Zimmermann, Olaf, und Felix Falk, Hrsg. 2020. Handbuch Gameskultur. Berlin: Deutscher Kulturrat e.V. https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/12/HandbuchGameskultur.pdf.