Sozialverantwortliches Medienhandeln in der Grundschule anregen

Schlagworte

Medienerziehung
Medienbildung
Grundschule
Rezension

Zitationsvorschlag

Kamin, Anna-Maria. 2022. „Sozialverantwortliches Medienhandeln in Der Grundschule Anregen“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, Nr. Reviews - Rezensionen (Februar). https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2022.02.18.X.

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Copyright (c) 2022 Anna-Maria Kamin

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Abstract

Rezension zu

Tulodziecki, Gerhard. 2021. Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer.

https://doi.org/10.21240/mpaed/XX/2022.02.18.X

Sozialverantwortliches Medienhandeln in der Grundschule anregen

In der Diskussion um Bildung in einer digitalisierten Welt wird zunehmend auch die Grundschulen in den Blick genommen, um für alle Schülerinnen und Schüler bereits frühzeitig Grundlagen zum Kompetenzerwerb für eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt zu legen (KMK 2016). Der Erwerb von Kompetenzen, die in der digitalen Welt benötigt werden, als auch die didaktische Gestaltung digital gestützten Unterrichts sind insofern bereits mit Beginn der Schulzeit von hoher Relevanz für (angehende) Grundschullehrkräfte und Verantwortliche in der Lehrkräftebildung. So sind auch in den vergangenen Jahren eine Reihe von Fördervorhaben und Pilotprojekten im Kontext der Grundschule entstanden, in denen Konzepte zum Einsatz digitaler Medien erprobt und evaluiert, hochschulbezogene Anforderungen diskutiert sowie fachbezogene Beispiele zum Einsatz mobiler Endgeräte in der Grundschule dargestellt wurden (z.B. Peschel und Irion 2016; Tillmann und Antony 2018; Junge und Niesyto 2019). Im nun von Gerhard Tulodziecki veröffentlichten Buch «Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule» steht hingegen die Auseinandersetzung mit Erziehungs- und Bildungsaufgaben, die sich durch den hohen Stellenwert von (digitalen) Medien im Alltag von Grundschulkindern ableiten lassen, im Blickpunkt. Vor dem Hintergrund und in Weiterführung der Grundannahmen der von Tulodziecki postulierten handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik arbeitet der Autor einen konzeptionellen Rahmen (ebd. 116ff.) für die Medienerziehung und Medienbildung mit konkreten Bezügen zur Grundschulpädagogik sowie Beispielen zur Umsetzung in der Grundschulpraxis aus.

Grundgedanken

Die Überlegungen des Buches fußen auf der Grundposition der handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik. Demgemäß ist das Medienhandeln von Heranwachsenden situations- und/oder bedürfnisorientiert (ebd. 44), eine Modellvorstellung menschlichen Handelns in dieser Tradition beruht auf einer Handlungsorientierung. Zielvorstellung medienerzieherischen Handelns ist Gerhard Tulodziecki folgend, Kinder zum sachgerechten, selbstbestimmten, kreativen und sozialverantwortlichen Medienumgang anzuregen indem sie beim Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten begleitet werden, die es ihnen ermöglichen, vorhandene Angebote sinnvoll zu nutzen und eigene Medienbeiträge zu erstellen. Es bedarf insofern der Befähigung, die «Sprache» der Medien zu verstehen sowie sich in dieser «Sprache» auszudrücken (ebd. 14). Vor dem Hintergrund der Aufgabe der Grundschule, als Unterstützung von Kindern bei der Erschließung der Welt und der Grundlegung für spätere Entwicklungen beizutragen (ebd. 48), diskutiert das Werk, welchen Beitrag die Grundschule dazu leisten kann.

Aufbau

Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert. Ausgehend von einer lebensweltorientierten Perspektive wird zunächst die Bedeutung von Medien im Alltag von Grundschulkindern aufgezeigt (1). Über Bedingungen des Medienhandelns von Kindern (2), Mediennutzung als bedürfnis- und situationsbezogenes (3), erfahrungs- und wissensbezogenes (4) und entwicklungsbezogenes (5) Handeln, werden zentrale Bedingungen des Medienhandelns von Kindern und deren Relevanz für Erziehung und Bildung aufgezeigt. Jedes Kapitel folgt leser*innenfreundlich einem ähnlichen Aufbau. Es beginnt mit einem lebensnahen problemorientierten Fallbeispiel zum medienbezogenen Alltag von Kindern im Grundschulalter. Diese stellen jeweils beispielhaft eine fiktive Variation des Medienhandelns in dieser Altersstufe dar und decken in ihren Gegenständen ein breites Spektrum an Medienanwendungen, wie Internetseiten, Instant-Messenger oder Spielkonsolen aber auch aktuelle Technologien wie VR-Technik sowie medienbezogene Phänomene wie etwa Folgen algorithmenbasierter Mediennutzung (Filterbubbles), ab. Der Eingangsfall zieht sich durch das gesamte Kapitel und endet mit einer Reflexion, in dem die Bedeutsamkeit für Erziehung und grundlegende Bildung diskutiert wird. Darüber hinaus finden sich in den Abschnitten Ausführungen zu Chancen, Risiken, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Einsatzes (digitaler) Medien im Grundschulunterricht.

Im Kapitel 6 entfaltet Tulodziecki auf Basis dieser Überlegungen den konzeptionellen Rahmen für die Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule. Eckpfeiler des Konzeptes bilden mit Information und Lernen, Unterhaltung und Spiel, Austausch und Kooperation sowie Gestaltung und Präsentation eigener Beiträge vier hochplausible grundschulbezogene Aufgabenfelder. Anschließend wird die Umsetzung dieser in den nachfolgenden beiden Kapiteln mit Blick auf nutzungsbezogene (7) und inhaltsbezogene (8) Aufgabenfelder im (Grund-)Schulunterricht vorgestellt. Die letzten beiden Kapitel umfassen die Entwicklung von schulspezifischen Konzepten (9) und die Professionalisierung von Lehrpersonen (10). Neben der Unterrichtsperspektive werden insofern auch Schulentwicklungsprozesse sowie der Kompetenzerwerb (angehender) Lehrkräfte in den Blick genommen wird. Die aufgezeigten Beispiele bieten Anknüpfungspunkte für fachbezogenes Lehren und Lernen (z.B. Kunst, Musik, sprachliche Bildung). Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern wird in allen Abschnitten mitgedacht, indem sowohl die Fallbeispiele als auch viele Unterrichtsbeispiele am Familien(medien)alltag ansetzen und dabei mögliche Unterstützung seitens der Schule aufgezeigt wird. Dies können z.B. mögliche Themen für Elternabende oder Beispiele für gemeinsames familiales Medienhandeln sein (ebd. 129f).

In allen Kapiteln sind zudem hilfreiche Links zu Studien, Portalen oder weiterführenden Internetquellen hinterlegt. Darüber hinaus sind farblich hervorgehobene Hinweise zur Weiterarbeit integriert. Diese bestehen aus Reflexionsfragen, die sich auf das Eingangsbeispiel beziehen, gleichzeitig wird der/die Leser*in angeregt, seine/ihre individuellen Erfahrungen mit Blick auf das Gelesene zu reflektieren und erste Ideen zum Transfer in die Praxis zu entwickeln.

Fazit

Tulodziecki verdeutlicht mit seinem aktuellen Buch eindrücklich die Relevanz von (digitalen) Medien für Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Grundschule. Er nimmt dabei eine Perspektive ein, die nicht eine aktuell im gesellschaftlichen Diskurs vielfach wahrgenommene zwingend notwendige Transformation von traditionellen Lehr-Lernformen in digitale Gestaltungsformen als «Digitalisierung von Bildung» propagiert, sondern die Auswahl an Vorgehensweisen für eine sinnvolle Verwendung von Medien, sei es nun als Träger von Informationen, Werkzeuge zur Speicherung oder Gestaltung medialer Botschaften oder Gegenstand der Analyse (ebd. 126) betont.

Das Werk richtet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, ist aber ebenso von großem Interesse für Professionelle aus der Lehrkräftebildung aller Phasen der Lehramtsausbildung und sollte Pflichtlektüre für beide Zielgruppen sein. Wenn auch Grundschulkinder primär im Fokus stehen, sind die Ausführungen ebenso für Kinder zu Beginn der Sekundarstufe I anwendbar. Die Leserschaft erhält neben der Vermittlung grundlegender medienpädagogischer Begrifflichkeiten und Konzepte für Schule und Unterricht, Hinweise für medienpädagogisches schulisches Handeln. Darüber hinaus regt die Lektüre zur Reflexion des Medieneinsatzes in der Schule an, sei es nun zum Lernen mit als auch über Medien. In erster Linie trägt es aber zur Bewusstseinsbildung für Medienerziehung und Medienbildung für Grundschulkinder bei, wobei sich die Zielvorstellung der Sozialverantwortlichkeit als überzeugender Grundsatz erweist. Einzig kritisch anzumerken ist, dass die zahlreichen Fallbeispiele mit ihren Eigenschaften und in ihrer Darstellung vorwiegend am Mainstream orientiert sind. Wenn auch Merkmale wie Alleinerziehung und soziökonomischer Hintergrund aufgegriffen werden, wird die Vielfalt des Menschseins mit Differenzlinien wie Herkunft, Behinderung oder sexuelle Orientierung nur in Ansätzen abgebildet.

Literatur

Junge, Thorsten, und Horst Niesyto, Hrsg. 2019. Digitale Medien in der Grundschullehrerbildung. Erfahrungen aus dem Projekt dileg-SL. Schriftenreihe Medienpädagogik interdisziplinär. Band 12. München: kopaed.

KMK. 2016. Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf.

Peschel, Markus, und Thomas Irion, Hrsg. 2016. Neue Medien in der Grundschule 2.0: Grundlagen - Konzepte - Perspektiven. Beiträge zur Reform der Grundschule. Frankfurt am Main: Grundschulverband e.V.

Tillmann, Alexander, und Ingo Antony, Hrsg. 2018. Tablet-Klassen: Begleituntersuchung, Unterrichtskonzepte und Erfahrungen aus dem Pilotprojekt «Mobiles Lernen in Hessen - MOLE». Münster: Waxmann.

Tulodziecki, Gerhard. 2021. Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer.