1. Einleitung
Der Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts hat Konjunktur. So ist der Terminus aus medialen Debatten und der politischen Kommunikation über den Zustand unserer Gesellschaft mittlerweile kaum mehr wegzudenken. Gleichzeitig bleibt sein Gehalt oftmals diffus und lässt sich häufig darauf reduzieren, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt grundsätzlich etwas Gutes und Erstrebenswertes sei, jedoch aktuell bedroht werde oder schwinde und daher wieder gestärkt werden müsse.
Aus einer medienpädagogischen Perspektive stellt sich die Frage nach der genaueren Bestimmung der Umstände, unter denen die Bedingungen interpersonaler und (teil-)öffentlicher Kommunikation Zusammenhalt fördern beziehungsweise untergraben. Im Zentrum stehen somit tiefgreifende Mediatisierungsprozesse, die nicht nur die Art und Weise verändern, wie wir miteinander kommunizieren, sondern auch mediale Rahmenbedingungen, die die Vorstellungen vom gesellschaftlichen Zusammenhalt herausfordern. Dies betrifft zunächst vor allem die Orientierungsfunktion von Massenmedien für die Herstellung von gesellschaftlichem Konsens über Wichtigkeit und Valenz von Themen. Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass sich mit dem Internet und dem Aufkommen kommunikativer Online-Netzwerke für die meisten Menschen der Zugang zur Öffentlichkeit zwar enorm vereinfacht hat. Gleichzeitig ist damit eine Aufhebung bzw. Verringerung der Asymmetrie zwischen Kommunikator:innen und Rezipient:innen verbunden, die charakteristisch für die traditionelle Massenkommunikation war. Die nahezu ausschliesslich massenmediale Funktion der Orientierung und Komplexitätsreduktion durch traditionelle Medien hat damit einem deutlich dynamischeren Verhältnis in sozialen Netzwerken Platz gemacht, zu dem flexible Rollenwechsel gehören. Nutzende sozialer Medien nehmen daher nicht nur eine rezipierende, sondern auch als Einzelpersonen eine aktive Rolle in der Gestaltung der Plattformen ein, die für andere Nutzende unter Umständen in direkter Orientierungskonkurrenz zu journalistischen Angeboten stehen kann.
2. Beiträge
Dementsprechend lassen sich diese Partizipationsmöglichkeiten und ihr pädagogisches Potenzial als entscheidende Komponenten in der Diskussion um die Rolle der Medien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ansehen. Beispielhaft diskutieren Ulrike Stadler-Altmann, Gerda Winkler und Eva-Elisabeth Moser(2023) für den universitären Kontext, welche Rolle die digitale Informationsbeschaffung für den gemeinsamen Wissensstand und somit für die Kohäsion bestimmter Gemeinschaften spielt. Demgegenüber steht die Herausforderung einer verengenden medialen und gesellschaftlichen Orientierung aufgrund zu einschränkender bzw. einseitiger Filter und einseitigen Informationsverhaltens, fehlender Empathie und Distanz zur eigenen Meinung sowie des fehlenden Verständnisses zur Funktion einer gemeinsamen Öffentlichkeit.
Jenes Spannungsfeld wird unter anderem im Beitrag von Dan Verständig(2023) deutlich, in welchem die Protestkultur auf Twitter am Beispiel der Corona-Pandemie diskutiert wird.
Vor dem Hintergrund der Gefährdungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch politische Radikalisierungen und des Erstarkens rechtspopulistischer Bewegungen nimmt der Beitrag von Johannes Gemkow(2023) eine praxeologische Sichtweise auf die Strategien jener Bewegungen in sozialen Medien ein und eröffnet diesbezüglich eine medienpädagogische Perspektive. So sind Suchmaschinen, Netzwerk- oder Videoplattformen mittlerweile unverzichtbare Werkzeuge, um sich in der verfügbaren Vielfalt des Internets zu orientieren und neue Formen der Vergemeinschaftung zu initiieren. Ihre Medienlogik – die Strukturierung von Kommunikation ebenso wie die zugrundeliegenden Geschäftsmodelle – beruht auf der umfassenden Datafizierung und Algorithmisierung und kulminiert im Leitprinzip der Personalisierung.
Insbesondere die sozialen Medien mit ihren vielfältigen Kommentar- und Empfehlungsfunktionen machen die dialogisch orientierte Anschlusskommunikation für grosse Kreise sichtbar. Was in vielen Situationen dabei helfen kann, einen Einblick in das Meinungsklima des sozialen Umfelds und die Vielfalt denkbarer Haltungen zu gewinnen, kann im Extremfall in populistische «Echokammern» einmünden, in denen sich Menschen nur noch in ihrer vorgefassten Meinung bestätigen oder gar radikalisieren, was sich etwa in der Zunahme von «hate speech» ausdrückt. Die Wahrnehmung Studierender von Beleidigungen im Netz wird von Christina Josupeit(2023) näher ausgeführt und empirisch analysiert.
Um Phänomene wie Hatespeech und Deep Fake theoretisch fundiert einordnen und diskutieren zu können, schlagen Michaela Kramer, Svenja Bedenlier und Rudolf Kammerl(2023) in ihrem Beitrag eine Systematisierung vor, die speziell den normativen Rahmen sowie moralische Aspekte im Diskursfeld in den Blick nimmt.
Die Frage nach gesellschaftlichem Zusammenhalt betrifft ausserdem massgeblich die Art und das Ausmass der sozialen Integration einer Gesellschaft. Sie kristallisiert sich insbesondere in Bezug auf Bildungsteilhabe, soziale Gerechtigkeit und im Kontext von Migration. So verdeutlicht der Beitrag von Stephan Niemand(2023) die Bedeutung der Repräsentation von Geflüchteten in den Medien für ihre Integration, während Henrike Friedrichs-Liesenkötter und Jana Hüttmann(2023) die Wichtigkeit von Bildungsteilhabe herausarbeiten.
Insgesamt hat die tiefgreifende Mediatisierung aller Lebensbereiche den Strukturwandel von Produktion, Distribution und Nutzung öffentlicher Kommunikation beschleunigt. Eine weitere, zentrale Herausforderung stellt dabei die mit einer potenziell permanenten Konnektivität einhergehende Datafizierung dar. In durch digitale Medien geprägten Gesellschaften machen Bürger:innen ihre Medien- und zu wesentlichen Teilen auch ihre Alltagspraktiken einer öffentlichen (wie auch wissenschaftlichen) Beobachtung zugänglich, wodurch sie selbst zum Gegenstand der Aushandlung von Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden können. Dieser Umstand beinhaltet auch massgebliche Implikationen für den Schutz der eigenen Privatsphäre. Gleichzeitig gehen diese Veränderungen mit einem Bedeutungsgewinn von partizipativen sowie algorithmischen Selektions-, Aggregations- und Distributionsleistungen einher. Gerade die Medienpädagogik ist an dieser Stelle gefordert, um Medienkompetenz zu fördern und didaktische Konzepte und Lernumgebungen zu entwickeln und zu diskutieren, mit deren Hilfe Individuen in der Entwicklung medienbezogener und gesellschaftlicher Kompetenzen unterstützt werden können. Dies verdeutlicht Christian Seyferth-Zapf(2023) in seinem Beitrag sowie Daniela Schlütz, Ada Fehr, Malin Fecke und Christin Tellisch(2023) in ihrem Beitrag.
In diesem Zusammenhang ist es jedoch zunächst entscheidend, bestehende theoretische Medienkompetenzkonzepte zu reflektieren wie im Beitrag von Anna Soßdorf(2023). Medienkompetenz muss in schulischen Lernsettings vermittelt werden, wobei unter anderem Lehrpersonen als Multiplikator:innen eine zentrale Rolle einnehmen wie es Carlo Schmidt(2023) beschreibt.
Markus Beiler, Uwe Krüger, Sophie Menner und Juliane Pfeiffer(2023)sowie Markus Beiler, Robert Benjamin Biskop, Frederik Damerau, Uwe Krüger, Markus Lücker, Juliane Pfeiffer und Christopher Pollak(2023)untersuchen und beschreiben die Unterstützung des Erwerbs von Medien- und Journalismuskompetenz in der Lehramtsausbildung.
Neben der Medienbildung in schulischen Kontexten müssen auch informelle Bildungssettings den Erwerb medienbezogener Kompetenzen stützen wie es Fabian Wiedel(2023) am Beispiel des «Digital Streetwork» vollzieht.
Die Notwendigkeit der Medienkompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen in formellen und informellen Kontexten darf jedoch nicht über die dringende Relevanz von Massnahmen der Erwachsenenbildung hinwegtäuschen wie es Katharina Biringer(2023) sowie Heike Hausmann und Erko Martins(2023) jeweils in ihren Beiträgen verdeutlichen, wobei auch handlungsorientierte Ansätze einfliessen können, wie sie zum Beispiel durch Hendrik Hoch und Adrian Roeske(2023) skizziert werden. So können Einblicke in die journalistische Arbeitsweise gegeben und damit insbesondere journalistische Kompetenzen geschult werden, deren Relevanz und Einfluss siehe Stefanie Holtrup, Jakob Henke und Wiebke Möhring(2023) aufzeigen.
Zusammenfassend zeigt der vorliegende Band eine Auswahl an theoretischen, empirischen und praxisorientierten Perspektiven zur Frage auf, wie Strukturen interpersonaler und (teil-)öffentlicher Kommunikation gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, aber auch herausfordern.