1. Einleitung
Die Einsatzmöglichkeiten von Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) zum Zwecke des Lehrens und Lernens werden seit einigen Jahren sowohl in Forschung als auch Praxis intensiv diskutiert.
Zum einen zeigt sich dies an der stetig steigenden Anzahl von Publikationen, die empirische Befunde zum Einsatz von AR und VR in Bildungskontexten berichten (Arici u. a. 2019; Radianti u. a. 2020). Zum anderen verdeutlichen Interviewstudien mit Personen der Bildungspraxis, dass das Interesse an AR und VR hoch ist und dabei sowohl pädagogisch-didaktische als auch technologische Faktoren als Begründungsargumente für dieses Interesse angeführt werden (Alalwan u. a. 2020; Buchner u. a. 2022; da Silva u. a. 2018).
Insbesondere die technologischen Faktoren, etwa welche Geräte wurden zur Darstellung von AR/VR-Inhalten herangezogen, haben Fragestellungen und Forschungsdesigns in bisherigen Studien zum Einsatz von AR und VR zu Lehr- und Lernzwecken bestimmt. So schreiben etwa Zumbach, von Kotzebue und Pirklbauer (2022), dass die Mehrheit der publizierten AR-Arbeiten das Forschungsdesign des Medienvergleichs anwenden, welches nur eingeschränkt Aussagen über den Einsatz von AR-Anwendungen in der Bildungspraxis zulässt. Zu diesem Schluss kommen auch Autor:innen von Metaanalysen und systematischen Literaturarbeiten (Garzón u. a. 2020; Buchner, Buntins, und Kerres 2022).
Ähnliches gilt für Forschungspublikationen zu VR-Bildungsanwendungen, die etwa unter Einbezug der Konstrukte «Immersion» und «Presence» Brillenbasierte VR mit Desktopbasierten virtuellen Welten kontrastieren und dabei weitere, den Lernprozess moderierende, Variablen unberücksichtigt lassen (Parong 2021; Makransky und Petersen 2021).
Als Konsequenz zeigt sich, dass bekannten Potentialen von AR/VR-Bildungsanwendungen, etwa das Trainieren von Fähigkeiten und Fertigkeiten (z. B. Mulders 2022; Zender u. a. 2020), keine bzw. wenig Beachtung in der bisherigen Literatur entgegengebracht wurde. Besonders deutlich wird das durch die Tatsache, dass konkrete didaktische Designs zum Einsatz von AR/VR in Bildungskontexten fehlen bzw. bislang nur selten in Fachpublikationen zu identifizieren sind (Buchner und Aretz 2020; Dengel 2019; Mulders 2022; Lipinski u. a. 2020; Lauer und Peschel 2022).
Zudem fehlen theoretische Diskussionen und Positionen zu jenen Konstrukten, die in der bisherigen AR/VR-Literatur als massgeblich für Effekte auf Lernergebnisse angenommen wurden. Dies betrifft etwa den Begriff der Immersion, der in der Literatur unterschiedlich und uneinheitlich verwendet und interpretiert wird (Nilsson, Nordahl, und Serafin 2016; Dengel und Magdefrau 2018; 2020; Makransky 2021).
Diese skizzierten Forschungslücken aufzugreifen und zu adressieren, ist das Ziel dieses Themenhefts.
Die Herausgeber:innen haben dazu aufgerufen, Lehren und Lernen mit AR/VR-Anwendungen aus (medien)didaktischen und (medien)pädagogischen Perspektiven zu ergründen. Folglich soll mit diesem Heft sowohl die theoretische Auseinandersetzung als auch die konkrete Umsetzung in der Bildungspraxis hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten von AR/VR zum Zwecke des Lehrens und Lernens thematisiert werden.
Insgesamt konnten nach einem double-blind Peer-Reviewverfahren mit drei Gutachter:innen pro Einreichung 18 Beiträge für die Publikation in diesem Themenheft angenommen werden. Diese werden im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt.
2. Beiträge in diesem Heft
Im ersten Beitrag des Themenhefts berichten Moritz Schweiger, Jeffrey Wimmer, Maiyra Chaudhry, Beatriz Alves Siegele und Dianchu Xie die Ergebnisse einer quantitativen Synopse zu den Effekten von AR und VR auf den schulischen Lernerfolg. Insgesamt wurden Erkenntnisse 30 Studien ausgewertet und synthetisiert (Schweiger u. a. 2022).
Den schulischen Einsatz von VR thematisiert auch der Beitrag von Raphael Zender, Josef Buchner, Caterina Schäfer, David Wiesche, Kathrin Kelly und Ludger Tüshaus. Die Autor:innen bieten in ihrem Beitrag einen «Beipackzettel», unter Einbezug medizinischer, pädagogischer, didaktischer, technischer und ethischer Herausforderungen, für den schulischen VR-Einsatzes an (Zender u. a. 2022).
Astrid Beckmann nimmt in ihrem Beitrag eine mathematikdidaktische Einordnung von AR vor und behandelt insbesondere die Potenziale für das Thema Modellieren. Auch die Grenzen des AR Einsatzes im Mathematikunterricht werden diskutiert (Beckmann 2022).
Basierend auf dem M-IVR-L Modell (Mulders, Buchner, und Kerres 2020) skizzieren Silke Bakenhus, Marisa Alena Holzapfel, Nicolas Arndt und Maja Brückmann die Entwicklung einer immersiven Lernumgebung für den Sachunterricht. Dabei wird bereits mitgedacht, wie angehende Lehrkräfte zukünftig selbst zu Gestaltenden solcher Lernangebote werden können (Bakenhus u. a. 2022).
Yasamin Tahiri, Lena Florian und Mutfried Hartmann fokussieren in ihrem Beitrag auf die Designprinzipien von Geometriesoftware im virtuellen Raum. Als Ergebnis berichten die Autor:innen zukünftige Forschungsansätze und Validierungsmöglichkeiten (Tahiri, Florian, und Hartmann 2022).
Die Potenziale und Herausforderungen von AR für die Lehrpersonenbildung werden im Beitrag von Corinne Wyss, Florian Furrer, Adrian Degonda und Wolfgang Bührer diskutiert. Dabei sollen vor allem grundlegende Überlegungen zum Einsatz von AR für die Ausbildung von Lehrpersonen reflektiert und weiterentwickelt werden (Wyss u. a. 2022).
Ein auf dem TPACK Modell (Mishra und Köhler 2006) beruhendes Konzept für Fortbildungsmassnahmen für Bildungspersonen in der Pflege wird im Beitrag von Maureen Bartolles, Anna-Maria Kamin, Leonard Meyer und Thies Pfeiffer vorgestellt. VR wird dabei mithilfe von 360°-Videoszenarien realisiert (Bartolles u. a. 2022).
Mareike Menzel, Kim Wepner und Seven Schulte geben in ihrem Beitrag Einblicke in das Projekt LAARA – «Lernen, Informieren und kompetent Agieren mit Augmented Reality im Arbeitsprozess». Das Ziel ist es, die Qualifizierung von Fachkräften mithilfe von AR-Anwendungen, speziell für den Biegeprozess von Metallrohren, effektiv zu unterstützen (Menzel, Wepner, und Schulte 2022).
Die Möglichkeit, Immobilien mithilfe von VR zu begehen, thematisiert der Beitrag von Jonathan Dyrna. In seiner didaktischen Konzeption für die Wohnungsabnahme wurde ein Rollenspiel entworfen, welches die beruflichen Handlungskompetenzen von Immobilienverwaltenden fördern kann (Dyrna 2022).
Um den Herausforderungen für die praktische Laborarbeit, etwa Covid-19 sowie begrenzten Platzkapazitäten, begegnen zu können, setzen Christoph Braun, Fares Kayali und Thomas Moser auf interaktive 360°-Bildmaterialien. Mit diesen soll den Studierenden ein erster Einblick in die Laborarbeit ermöglicht werden. Zudem werden zukünftig vermehrt hybride sowie Distanz-Laboreinheiten in der Lehre damit umsetzbar (Braun, Kayali, und Moser 2022).
Urszula Hejna, Carolin Hainke, Stefanie Seeling und Thies Pfeiffer explorieren in ihrem Beitrag die Unterschiede von vollimmersiven VR-Lernumgebungen und Videokonferenzsystemen während der Durchführung von Gruppenarbeiten. Ein Fazit ihrer Studie ist, dass der Erfolg einer Gruppenarbeit wesentlich von der konzeptionellen Einbindung in den Lehrkontext abhängig ist (Hejna u. a. 2022).
VR als einen potenziellen Ort der Partizipation und Konstruktion für kulturelle Lernprozesse im Unterricht zu nutzen, wird im Beitrag von Jeanine Steinbock, Rebecca Hein, Maria Eisenmann, Marc Erich Latoschik und Carolin Wienrich untersucht. Die Autor:innen entwerfen dazu ein Unterrichtskonzept, welches auf medien- und kulturdidaktischen sowie empirischen Überlegungen basiert (Steinbock u. a. 2022).
Ein konkretes Bildungsanliegen adressieren Esther Winther, Jessica Paeßens, Monika Tröster und Beate Bowien-Jansen. In ihrem Beitrag loten die Autor:innen die Potenziale von AR und spielerischer immersiver Lernangebote für den Bereich der Alphabetisierung/Grundbildung aus (Winther u. a. 2022).
Nathaly Tschanz und Bianca Baerlocher geben in Ihrem Beitrag Einblicke in das Projekt «Around the world in 5 days». Darin wird die Entwicklung von VR-Sprachsequenzen skizziert sowie ein kritischer Blick auf die Mensch-Maschine Interaktion in solchen immersiven Sequenzen geworfen (Tschanz und Baerlocher 2022).
Michael Kerres, Miriam Mulders und Josef Buchner befassen sich aus mediendidaktischer Perspektive mit dem Konstrukt der Immersion bzw. dem Immersionserleben. Sie hinterfragen eine generelle Bedeutsamkeit des Erlebens für das Lernen und formulieren Fragen für zukünftige Forschungsvorhaben (Kerres, Mulders, und Buchner 2022).
Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive nimmt Nicola Przybylka in ihrem Beitrag ein. Dabei kommt sie unter anderem zum Schluss, dass die Nutzung von vorhandenen AR und VR Anwendungen durch Lernende zu einer Verschränkung mit wirtschaftlichen Akteuren führt. Anschliessend wird das Narrativ der Empathie-Maschine diskutiert. Die getroffenen Analysen ergänzen bisheriger didaktische Diskussionen zum Einsatz von AR/VR in formalen Bildungskontexten (Przybylka 2022).
Anna Zembala plädiert für eine stärkere Zuwendung in Forschung und Praxis auf emotionale und soziale Kompetenzen im Rahmen von XR-Bildungsprojekten. Sie zeigt auf, dass immersive Technologien eine positive Lernatmosphäre generieren und die Persönlichkeitsförderung unterstützen können (Zembala 2022).
Im abschliessenden Beitrag arbeiten Christian Hartmann und Maria Bannert Alleinstellungsmerkmale immersiver Bildungsmedien heraus. Anhand dieser Analyse ermöglichen sie es Forscher:innen zukünftiger Studien, Beziehungen zwischen immersiven Medien und lerntheoretischen Modellen genauer abzubilden. Als Konsequenz halten der Autor und die Autorin fest, dass diese Beziehungen zielgerichteter erforscht werden können (Hartmann und Bannert 2022).
3. Fazit
Die Autor:innen des vorliegenden Heftes leisten einen wichtigen Beitrag zu den eingangs skizzierten Forschungslücken und erweitern damit das Spektrum bisheriger Forschung zu AR und VR in Bildungskontexten.
Die berichteten forschungsbasierten didaktischen Designs und Konzepte adressieren, die in der Literatur identifizierte und von Lehrpersonen geäusserte, Problematik fehlender konkreter Umsetzungsszenarien. Das Themenheft kann damit einen Beitrag für die Bildungspraxis liefern.
Zudem werden theoretische Positionen, Modelle und Begriffe diskutiert, sodass Forschende im Bereich Lehren und Lernen mit AR/VR Schwerpunkte identifizieren können, die in zukünftigen Studien exploriert werden sollten.
Zu guter Letzt möchten sich die Herausgeber:innen bei den vielen Gutacherter:innen für die wertvollen Rückmeldungen an die Autor:innen und die damit gewährleistete Qualitätssicherung bedanken.
Die Publikation dieses Themenheftes wurde durch den Open Access Publikationsfonds der Universität Duisburg-Essen gefördert.