Soziale Onlinenetzwerke – (k)eine pädagogenfreie Zone?
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Schlagworte

Soziale Netzwerke
Soziale Onlinenetzwerke
Social Media
Soziale Arbeit
Jugendarbeit
pädagogisches Handeln
Professionalisierung

Zitationsvorschlag

Stix, Daniela Cornelia. 2020. „Soziale Onlinenetzwerke – (k)eine pädagogenfreie Zone? 2014. Deutsche Jugend, Nr. 12: 531–38. https://doi.Org/10.3262/DJ1412531“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung, Nr. Social Media in der OKJA (Oktober). https://www.medienpaed.com/article/view/1149.

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Abstract

Pädagogische Fachkräfte aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern nutzen heute Social Media und speziell Soziale Onlinenetzwerke in ihrer pädagogischen Arbeit. Als Reaktion auf datenschutzrechtliche Bedenken und fehlende Umgangsregeln wurden 2013 in einigen Bundesländern Vorgaben zur Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken im Kontext Schule erlassen. Diese inhaltlich sehr unterschiedlichen Erlasse führen in Arbeitsfeldern und Bundesländern, wo keine Vorgaben vorliegen, zu Unsicherheiten.

Dieser Beitrag soll einerseits Orientierung bieten, indem er die Perspektive der jungen Menschen in den Fokus stellt. Es wird die Frage beantwortet, wie die jungen Menschen dazu stehen, dass sich ihre Jugendarbeiter/innen und Lehrer/innen in Sozialen Onlinenetzwerken aufhalten, und welches Interaktionsverhalten sie dort als (un-)angemessen empfinden. Dazu werden die Erkenntnisse verschiedener Studien aufbereitet und zusammengefasst sowie abschliessend auf das Arbeitsfeld der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit übertragen. Dies soll auch andererseits die Leser/innen dazu anregen, gemeinsam mit den jungen Menschen Umgangsregeln zu entwickeln. Nicht zuletzt kann der Beitrag auch als Argumentationshilfe für eine pädagogische Nutzung herangezogen werden.

1 Nutzung in Jugendarbeit verbreiteter als in Schule

Die folgenden Ergebnisse basieren auf zwei praxisnahen Studien in pädagogischen Arbeitsfeldern und müssen zum aktuellen Zeitpunkt als punktuelle Erhebungen sowohl einen wissenschaftlich fundierten als auch deutschlandweiten Gesamtüberblick zur Nutzungssituation der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit ersetzen.

Bitkom, der Verband der digitalen Wirtschaftsunternehmen, befragte 500 Lehrkräfte der Sekundarstufe I zur beruflichen Nutzung von Social Media (Bitkom 2014). «Am häufigsten werden Soziale Netzwerke von Lehrern bis 40 Jahre genutzt, hier ist jeder Fünfte (20%) mit seinen Schülern vernetzt. Bei den Ü̈ber-40-Jährigen sind es lediglich 8%» (Bitkom 2014, o.S.). Innerhalb der Sozialen Onlinenetzwerke werden Links zu interessanten Online-Artikeln verbreitet (76%), individuelle Fragen zum Unterricht beantwortet (61%) oder Schulinfos (56%) und Hausaufgaben (47%) gepostet. Zur Nutzung von Alternativen geben Dreiviertel der befragten Lehrkräfte an, E-Mail zu nutzen, 9% verwenden Messenger. 21% der Befragten tauschen sich gar nicht elektronisch mit ihren Schülerinnen und Schülern aus (Bitkom 2014).

Für die ausserschulische Kinder- und Jugendarbeit liegt lediglich eine auf Berlin begrenzte Studie aus dem Jahr 2011 vor. Sie zeigt, dass rund 60% der 140 befragten Berliner Jugendarbeiter/innen zum Erhebungszeitpunkt Soziale Onlinenetzwerke in ihrer Arbeit nutzten (Korfmacher 2011, 10). Facebook sowie mit Abstand Jappy und MySpace waren die beliebtesten Sozialen Onlinenetzwerke (Korfmacher 2011, 9f.). Andere Social Media (YouTube, Wikipedia und Google Maps) wurden ebenfalls noch von einer grossen Gruppe (40%) verwendet. Instant Messenger, Mikroblogging und Weblogs wurden 2011 dagegen nur vereinzelt in der pädagogischen Arbeit eingesetzt (Korfmacher 2011, 10f.). Social Media dienten hauptsächlich der Informationsweitergabe sowie dem Informationserhalt. Ausserdem geben 44% der Einrichtungen an, direkt Kontakt zu jungen Menschen aufzunehmen. Ein Fünftel der Befragten nutzen Social Media, um Hilfs- und Beratungsangebote anzubieten (Korfmacher 2011, 11f.).

Die Ergebnisse zeigen, dass bereits vor drei Jahren die Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken in der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit verbreiteter war als heute in der Schule. Diese Erkenntnis und die insgesamt gewachsenen Nutzerzahlen (Statista 2014) legen nahe, dass die ausserschulische pädagogische Nutzung seit dem Zeitpunkt der Umfragen noch zugenommen hat. Auffällig ist, dass sowohl im schulischen als auch im ausserschulischen Kontext die allgemeine Weitergabe von Informationen quantitativ häufiger stattfindet als die individuelle Interaktionen mit jungen Menschen.

2 Vorgaben bieten nur unzureichend Orientierung

Diese pädagogische Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken wird jedoch mehr oder weniger stark und mehr oder weniger transparent auf verschiedenen Ebenen (administrativ bzw. bildungspolitisch) eingeschränkt. Die bereits erwähnte Studie von Bitkom konnte aufzeigen, dass an vier von zehn Schulen die dienstliche Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken und die Vernetzung mit Schüler(inne)n verboten ist. 36% der befragten Lehrkräfte geben an, dass die Nutzung der Netzwerke an ihrer Schule  erlaubt sei oder dass es keine Regeln gebe und sie toleriert werde. «Jeder fünfte Lehrer (20%) darf Soziale Netzwerke zwar nicht für schulische Belange nutzen, sich aber dort privat mit Schülern vernetzen» (Bitkom 2014, o.S.).

Die Verbote von Seiten der Schulleitungen finden ihre Entsprechung auf höherer Ebene in den im vergangenen Jahr in einigen Bundesländern erlassenen Vorgaben zum Umgang mit Facebook in der Schule. Beispielsweise haben Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein Vorgaben zur (Nicht-)Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken erlassen. Da diese Vorgaben sehr divergieren (siehe Tabelle), führt dies in den pädagogischen Arbeitsfeldern und Bundesländern, in denen keine eindeutigen Regelungen vorliegen, zu Unsicherheiten.

Für die ausserschulische Kinder- und Jugendarbeit gibt es bislang keine derartig umfassenden ministeriellen Vorgaben. Einige kommunale Träger haben für ihre Angestellten im Öffentlichen Dienst Vorgaben zur Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken erlassen. Inwiefern diese einzelnen kommunalen und freien Träger der Kinder- und Jugendarbeit ihren Mitarbeiter(inne)n diesbezüglich eher Orientierung bieten oder ihnen Restriktionen auferlegen, ist nicht bekannt. Auf Grund einer eigenen – bislang unveröffentlichten – Untersuchung kann darauf geschlossen werden, dass nur in vereinzelten Einrichtungen der Jugendarbeit Leitlinien von Trägerseite vorliegen. Die Aussagen der pädagogischen Fachkräfte der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit sowie der Lehrkräfte in der Bitkom-Studie lassen vermuten, dass diese Vorgaben top down – von den Ministerien, Schulleitungen und Trägern – festgelegt wurden. Es scheint, dass weder die Pädagog(inn)en noch die jungen Menschen oder deren Eltern2 an den Prozessen beteiligt wurden3. Wie insbesondere an den ministeriellen Vorgaben deutlich wird, sind die Begründungen einerseits datenschutzrechtlicher Natur, andererseits wird mit Aspekten des Umgangs (Gleichbehandlungsgrundsatz sowie Obhuts- und ausserdienstliche Wohlverhaltenspflicht) argumentiert. Bezüglich des Umgangs hätte eine Berücksichtigung der Interessen aller betroffenen Akteure möglicherweise zu konstruktiveren Lösungen als den jetzigen Verboten geführt.

Tabelle: Übersicht der Ländervorgaben zum Umgang mit Sozialen Onlinenetzwerken

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3 Junge Menschen sehen die pädagogische Nutzung kritisch

Im folgenden Abschnitt werden Erkenntnisse verschiedener Studien, die die Perspektive von jungen Menschen auf die pädagogische Facebook-Nutzung untersuchten, zusammengefasst. Da Facebook zuerst im US-amerikanischen Hochschulkontext genutzt wurde, liegen von dort mehrere Studien vor, die sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob Soziale Onlinenetzwerke ein «student-based territory» (Mazer et al. 2007) oder eine «professor free zone» (Malesky und Peters 2011) sind. Im Fokus der vornehmlich quantitativen Untersuchungen stand ausserdem die Frage nach der Angemessenheit der Interaktion von Dozenten und Studierenden (z.B. Hewitt und Forte 2006; Teclehaimanot und Hickman 2011). Das Thema der pädagogischen Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken beschäftigt seit dem Facebook-Boom im Jahr 2010 auch in Deutschland zunehmend die Menschen. Sowohl die JIM-Studie 2013 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs 2013) als auch der Medienkonvergenz Monitoring Report 2010 der Universität Leipzig (Schorb et al. 2010) gehen in ihren Untersuchungen auf das Thema ein. Als ungefilterter Blick auf die Perspektive der jungen Menschen wird zusätzlich eine Online-Abstimmung der Teenager-Zeitschrift Mädchen, die seit 2013 läuft, herangezogen. Die Mädchen werden dort gebeten, «Pro & Contra: Facebook-Freundschaften mit Lehrern?» abzustimmen, und sie konnten freiwillig ihre Argumente posten (Mädchen.de 2014). Diese wurden für die vorliegende Synthese ergänzend ausgewertet.

Die knappe Mehrheit der befragten Studierenden billigen die grundsätzliche Präsenz von Universitätsangehörigen in Facebook (Hewitt und Forte 2006, 2 sowie Malesky und Peters 2011, 143). Eine Interaktion zwischen Dozenten und Studierenden finden lediglich drei Viertel der befragten Männer und sogar nur ein Drittel der Frauen akzeptabel (Hewitt und Forte 2006, 2 ebenso Mazer et al. 2007). Im schulischen Kontext finden sogar gerade mal rund 25% der befragten Schülerinnen eine Facebook-Freundschaft zu einer Lehrkraft akzeptabel (Mädchen.de, 18.7.2014, 15:15 Uhr). Neben dem Geschlecht ist das Alter ein ausschlaggebender Faktor für die Akzeptanz einer Facebook-Freundschaft zu Lehrkräften. Mit zunehmendem Alter steigt die Bereitschaft, sich mit Lehrkräften zu befreunden. Die Altersschwelle hierfür liegt zwischen 15 und 16 Jahren (mpfs 2013, 40). Hinsichtlich der Ausbildungsstufe konnten keine bedeutenden Unterschiede gefunden werden (Teclehaimanot und Hickman 2011).

Junge Menschen empfinden die Anwesenheit von Dozenten in Sozialen Onlinenetzwerken dann als persönlich vorteilhaft, wenn diese die Sozialen Onlinenetzwerke zur Unterstützung nutzen, um beispielsweise die Namen zu lernen (Malesky und Peters 2011, 144). Für Schüler/innen ist auch die Ansprechbarkeit zum Beispiel im Fall von Rückfragen zu den Hausaufgaben hilfreich (Mädchen.de). Offensichtlich erhöht sich auch die Bereitschaft, mit Lehrkräften über Soziale Onlinenetzwerke zu interagieren, wenn deren Persönlichkeit als «cool» und «entspannt» charakterisiert wird (Mädchen.de 2014).

Ein bedeutsamer Faktor für die Nicht-Akzeptanz von Lehrkräften in Sozialen Onlinenetzwerken sind dagegen die Faktoren Kontrolle und Macht. Aus Sicht der jungen Menschen ist es vollkommen unangemessen, Soziale Onlinenetzwerke als Kontrollinstrument zu nutzen. Für sie ist es beispielsweise nicht akzeptabel, mit ihrer Hilfe eine Abwesenheitsentschuldigung auf Richtigkeit zu überprüfen (Malesky und Peters 2011, 144). Soziale Onlinenetzwerke werden von den jungen Menschen als ein Raum wahrgenommen, in dem sie sich unkontrolliert von Eltern, Professor(inn)en oder Chefs auslassen können (Malesky und Peters 2011, 144). Dementsprechend schränkten die jungen Menschen die Sichtbarkeit ihrer Profile zunehmend ein, wenn bekannt geworden ist, dass sich auch Lehrkräfte in SchülerVZ aufhielten (Schorb et al. 2010, 62, Mädchen.de 2014). «Besonders fürchten sie die Einzelpersonen, denen sie keinen Einblick in ihren Intimbereich geben wollen, den sie nur mit ihren Freunden zu teilen bereit sind. Das sind in erster Linie die Autoritäten, die Macht über ihr Leben haben, die Eltern sowie die Lehrerinnen und Lehrer» (Schorb et al. 2010, 72f.).

Mit Macht und Kontrolle in enger Verbindung ist auch das bereits angeklungene Thema der Privatsphäre. Die jungen Menschen, die Pädagog(inn)en in Sozialen Onlinenetzwerken ablehnen, sehen diese als private Räume und bevorzugen anderweitige Kontaktaufnahmemöglichkeiten wie Telefon, E-Mail oder Moodle (Hewitt und Forte 2006, 2; Mädchen.de 2014). Interessanterweise thematisieren diese Gegnerinnen ebenso einen Schutz der Privatsphäre der Lehrkräfte (Mädchen.de 2014). In einzelnen – durch die Medien bekannt gewordenen – Fällen von Lehrermobbing mag dies zutreffen, jedoch können Mazer et al. (2007) sogar positive Auswirkungen auf das Lernklima belegen. Wenn Studierende die Dozenten besser kennen und mehr von ihnen wissen, nehmen sie sie positiver wahr und können sie besser antizipieren.

Daten über den tatsächlichen Umfang der Kontakte zwischen jungen Menschen und ihren Lehrkräften bzw. Dozierenden finden sich nur vereinzelt: 2009 gaben 15% der befragten Studierenden an, bereits Kontakt mit Dozenten über Facebook gehabt zu haben (Ophus und Abbitt 2009, 643). 2013 bestätigen 37% der jungen Menschen eine Freundschaft mit ihren Lehrkräften (mpfs 2013, 40). Zum Vergleich: 12% der Lehrkräfte gaben an, über Soziale Onlinenetzwerke mit den jungen Menschen in Kontakt zu stehen (Bitkom 2014).

Die gelingende Interaktion mit Lehrkräften in Sozialen Onlinenetzwerken ist auch von der Wahrung einer professionellen Distanz abhängig. Die jungen Menschen bevorzugen ein beiderseitig professionelles und eher passives Verhalten (Teclehaimanot und Hickman 2011, 25). Beispielsweise würden sich nur 58% der befragten Studierenden an einer Online-Diskussionsgruppe beteiligen, wenn die/der Dozent ebenfalls teilnähme; gegenüber 79% bei einer rein studentischen Diskussionsgruppe (Ophus und Abbitt 2009, 643). Den Studierenden ist es insgesamt wichtig, dass Dozenten stets in einer professionellen Rolle bleiben und nicht auf privater Ebene versuchen zu «socializen» (Hewitt und Forte 2006, 2). So führen Freundschaftsanfragen von Dozenten zu Unsicherheit und Angst vor negativen Konsequenzen (Karl und Peluchette 2011, 220). Insbesondere das «poking» – bei uns als Gruscheln (VZ-Netzwerke) oder Anstupsen (Facebook) bekannt – wird als unangemessenes Verhalten bewertet (Hewitt und Forte 2006, 2 sowie Teclehaimanot und Hickman 2011, 25).

Da für die obige Synthese auf Ergebnisse des (hoch-)schulischen Kontextes zurückgegriffen werden musste, stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit diese Erkenntnisse auf die ausserschulische Kinder- und Jugendarbeit übertragbar sind.

4 Die Strukturen der Jugendarbeit sprechen für eine pädagogische Nutzung

Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich an verschiedenen Stellen Parallelen zu den Strukturmerkmalen der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit im Allgemeinen und zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Speziellen. Dies sind Merkmale wie: Lebensweltorientierung, Partizipation, Freiwilligkeit, Offenheit und Niedrigschwelligkeit sowie Machtarmut und Diskursivität. Die einzelnen Parallelen werden im Folgenden aufgezeigt. Hierbei handelt es sich um eine idealisierte, aus Gründen der Übersichtlichkeit vorgenommene Trennung der Merkmale.

Lebensweltorientierung bedeutet, dass die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit an den alltäglichen und jugendtypischen Themen von jungen Menschen orientiert sind. Indem die Pädagog(inn)en der o.g. Studien die Sozialen Onlinenetzwerke in ihrer Arbeit nutzen, lassen sie sich auf die lebensweltlichen Themen der jungen Menschen ein und setzen sich aktiv damit auseinander. Für die pädagogischen Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit ist die Nutzung also bereits in dieser Hinsicht erstrebenswert. Zusätzlich ergeben sich aus der Nutzung weitere Möglichkeiten. Wenn die Jugendarbeiter/innen mit den jungen Menschen interagieren oder deren Interaktion als Follower oder Freund verfolgen, wissen sie, welche Themen und Trends bei der Zielgruppe aktuell sind. Sie können daraufhin gezielt relevante oder vermeintlich interessante Informationen an die jungen Menschen weiterleiten und sogar an die Themen anknüpfend Bildungsgelegenheiten schaffen. Ausserdem führt der regelmässige Gebrauch zu Routinen im Umgang mit Privatsphäreeinstellungen, so dass die pädagogischen Fachkräfte den jungen Menschen bei Problemen beratend zur Seite stehen können.

Unter Partizipation ist die aktive Beteiligung der jungen Menschen bei der Planung und Durchführung von Jugendarbeitsangeboten und -aktivitäten gemeint. Ausserdem sollte sich Kinder- und Jugendarbeit für eine wirksame Partizipation von jungen Menschen einsetzen. Der Partizipationsgedanke ist leider in den oben aufgeführten Erlassen vergeblich zu suchen. Die Vorgaben wurden von bildungspolitischer bzw. -administrativer Seite erlassen. Argumentiert wurde vordergründig mit datenschutzrechtlichen Bedenken, aber auch Argumenten des Umgangs. Die Einrichtungen und Gruppen der Kinder- und Jugendarbeit könnten an diesem Punkt ansetzen und gemeinsam mit den jungen Menschen einen goldenen Weg des Miteinanders in Sozialen Onlinenetzwerken entwickeln, der sowohl ggf. vorhandene Vorgaben berücksichtigt als auch den jungen Menschen eine Stimme gibt.

Die Teilnahme an Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit ist grundsätzlich freiwillig. Wie oben deutlich wurde, führen die Freundschaftsanfragen einiger Lehrkräfte die jungen Menschen in ein Dilemma. Es besteht Druck, die Freundschaftsanfragen anzunehmen, um negative Konsequenzen durch die Ablehnung zu vermeiden. Dies ist insbesondere bei Personen, die auf Grund der institutionellen Rollenbeziehung als Autoritäten eingeschätzt werden, der Fall (Schorb et al. 2010).

Die Jugendarbeit hat diesbezüglich einen Vorteil: Die jungen Menschen kommen aus Interesse. Beziehungen zu Jugendarbeiter(inne)n werden aus Sympathie eingegangen. Dementsprechend unterliegen mögliche Freundschaftsanfragen einem geringeren autoritären Druck. Kinder- und Jugendarbeit ist durch die Freiwilligkeit gezwungen, attraktive Angebote und partizipative Methoden zu entwickeln und den jungen Menschen dann den Freiraum zu gewähren, diese freiwillig anzunehmen. Dieses Prinzip könnte auch gut auf die Arbeit in Sozialen Onlinenetzwerken übertragen werden, die Grundlagen für eine «gute» Beziehung schaffen, aber Freundschaftsanfragen nur annehmen, nicht versenden. Dass dabei der Gleichheitsgrundsatz berücksichtigt werden muss, d.h. Nicht-Freunde dürfen nicht benachteiligt werden, sollte selbstverständlich sein.

Mit den obigen Strukturmerkmalen eng verbunden sind die Offenheit und Niedrigschwelligkeit: Jugendarbeit steht grundsätzlich allen daran interessierten jungen Menschen offen. Die Angebote sind in ihrer Erreichbarkeit niedrigschwellig anzulegen und sollen Raum für eigene Themenfindungen und Gestaltungen lassen sowie die Selbstorganisation unterstützen.

Durch die Präsenz in Sozialen Onlinenetzwerken entsteht ein weiterer – niedrigschwelliger – Kontaktpunkt für junge Menschen. Sie können sich bei Rückfragen und Problemen direkt über die Sozialen Onlinenetzwerke an die verfügbaren Ansprechpartner/innen wenden.

Bedingt durch die obigen Strukturmerkmale wie Freiwilligkeit, Partizipation und Offenheit ergibt sich die Diskursivität als weiteres Prinzip für die Kinder- und Jugendarbeit. Durch das Fehlen starrer Regelungen und bürokratischer Vorgaben ist es notwendig, die alltäglichen konkreten Bedingungen stets neu auszuhandeln. Dazu zählen auch die Beziehungen zwischen den jungen Menschen und den Jugendarbeiter(inne)n. Denn im Gegensatz zum (hoch-)schulischem Setting fehlen in der Kinder- und Jugendarbeit feste Rollenbeschreibungen für diese Beziehungen. Die Forderung der in den obigen Studien Befragten nach Einhaltung einer professionellen Distanz fällt in der Kinder- und Jugendarbeit auf fruchtbaren Boden. Die offenen Strukturen bieten Gelegenheit, die Grenze von Nähe und Distanz auf beiden Seiten – für die jungen Menschen und für die Jugendarbeiter/innen – auszuhandeln.

Der augenfälligste Punkt für die Nicht-Akzeptanz von pädagogischen Fachkräften in Sozialen Onlinenetzwerken ist die Furcht vor Machtmissbrauch. Lediglich wohlwollende, unterstützende Eingriffe werden akzeptiert. Die Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken zu Kontrollzwecken, insbesondere durch Personen, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, wird als Missbrauch empfunden. Das führt zu der Frage, ob junge Menschen Jugendarbeiter(inne)n eine ähnlich autoritäre Rolle zuschreiben wie Eltern und Lehrkräften. Die obigen Strukturmerkmale weisen darauf hin, dass die ausserschulische Kinder- und Jugendarbeit geprägt ist von flachen Hierarchien und Machtarmut. Entspricht dies auch der Wahrnehmung durch die jungen Menschen? Wie Kruse in ihrer Dissertation zu mädchengerechten Konzepten der Offenen Jugendarbeit herausgefunden hat, sehen die befragten Mädchen (elf bis 20 Jahre) in den Jugendarbeiterinnen weniger eine Mutter als eine erwachsenen Freundin. «Im Grunde suchen sie die Vertrautheit, die sie mit ihren Freundinnen erleben, auch mit der Pädagogin. Sie möchten eine erwachsene Freundin, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung beraten kann» (Kruse 2002, 288). Die Abgrenzung zur Mutterrolle wird in dem Zitat eines Mädchens deutlich: «Sie ist ja nicht unsere Mutter, sie kann irgendwie nicht mit uns schimpfen, ja» (Kruse 2002, 289). Die Sanktionen der Jugendarbeiterinnen werden von den Mädchen nicht als mit elterlichen und schulischen Sanktionen gleichwertig bewertet.

Es zeigt sich, dass die Faktoren, die im (hoch-)schulischen Kontext eher zu Ablehnung führen, in der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit weniger ausgeprägt sind, so dass im Umkehrschluss die positiven Faktoren stärker ins Gewicht fallen.

5 Soziale Onlinenetzwerke sind keine Jugendräume - aber ausgehandelte Regeln sind wichtig

Soziale Onlinenetzwerke und vor allem Facebook sind im Gegensatz zu den VZ-Netzwerken keine Jugendräume mehr. Die pädagogische Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken wird aber kritisch gesehen. Nicht nur von administrativer Seite, auch die jungen Menschen finden Regeln für die Interaktion mit pädagogischen Fachkräften zum beiderseitigen Schutz wichtig.

Durch die besondere Struktur der Kinder- und Jugendarbeit bietet sich für diese die Gelegenheit, gemeinsam mit den jungen Menschen Richtlinien für die gemeinsame Nutzung von Sozialen Onlinenetzwerken zu entwickeln. Dies gilt – unter anderen strukturellen Bedingungen – in gewissem Masse auch für den schulischen Kontext. Den Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit, sich parteiisch für die Interessen der jungen Menschen einzusetzen, könnte man in diesem Fall folgendermassen verstehen: Die Stimme der jungen Menschen stark machen und sich für die Aufhebung von generellen Verboten zugunsten gemeinsam mit allen Akteuren entwickelter Leitlinien einsetzen.

2Die Perspektive der Eltern ist vor allem vor dem Hintergrund einer Studie von HRInfo und der TU Darmstadt ein wichtiger zu berücksichtigender Faktor. Die Studie zeigt, dass 53% der Eltern gegen die Nutzung von Facebook für schulische Zwecke sind (hrOnline.de 2014).

3Dies führt auch zu der Frage nach der Verbindlichkeit der Vorgaben für die jeweiligen Akteure. Aus den ministeriellen Vorgaben ist nicht direkt zu erkennen, welche Sanktionen die Nichteinhaltung der Vorgaben, die sowohl Soll-Zustände beschreiben als auch klare Verbote aussprechen, nach sich ziehen.

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